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Diskussionsforum

Alltagsorientierte Therapie und sinnvolle Zielsetzung in der Ergotherapie

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20. Februar 2011 22:03 # 1
sonja.
sonja.
Ehemaliges Mitglied
Beiträge: 238

Liebe Forumsmitglieder,

aufgrund der aktuellen Diskussion im Schülerforum unter dem Betreff "Pädiatrie" vgl. Link, die ich interessiert verfolgt habe, möchte ich dieser eine eigene Stelle widmen.
In meiner Ausbildung gehörten Parcours und Hängematten zum Standartrepertoire eines Ergotherapeuten. Ich habe dies alles so aufgenommen und dementsprechend gelernt. Nach meiner Ausbildung besuchte ich verschiedene Fortbildungen und stellte fest, dass diese nicht mehr dem Ausbildungsstandart entsprachen. Plötzlich gehörte „Förderung von…“ oder „Verbesserung der“ oder „Steigerung der“ nicht mehr zur Zielsetzung. Überprüfbare, alltagsnahe Ziele sollten geschaffen werden. Befundinstrumente wie COPM waren nicht länger Theorie, sondern anwendbar.
Mir fehlen nun die praktischen Beispiele. Ich versuche, alltagsnahe Zielsetzungen und Überprüfbarkeit unter Einbezug der Eltern anzuwenden, aber es gelingt mir nicht immer. Ich habe bisher an einem anderen Modell gelernt. Zu oft greife ich nach „altbewährtem“ (weil so gelernt), wie Parcours (hierbei soll sich das Kind allerdings um einen sinnhaften Aufbau bemühen und auftretende Probleme lösen) oder ähnlichem. Ich förder damit allerdings die Handlungsplanung und nicht das individuell formulierte Ziel. Oft gibt es auch keine individuelle Zielsetzung, da ich vor kurzem eine Menge Patienten übernommen habe. Bei den Neuaufnahmen arbeite ich allerdings mit dem COPM a kids und hoffe, dass ich dies nach und nach auf bei den schon bestehenden Patienten einsetzen kann.
Ich habe bereits oetken1 und fine43 privat angeschrieben, ich denke jedoch, dass dies ein Thema ist, welches alle interessieren sollte.
Vielleicht könnt ihr mir einige Fragen beantworten, die mir gerade so im Kopf herumschwirren, ohne zu sehr ins Detail zu gehen.

- Haben Hängematten & Co noch Daseinsberechtigung? Abgesehen davon, wenn das Kind lernen möchte, es am längsten von allen Kindern im Kindergarten in der Hängematte auszuhalten Sondern eben als Stimulant.

- Was beinhaltet Alltag? Ich erinnere mich an eine Diskussion, ob es Bestandteil der Ergotherapie sei, einem Kind die Schleife beizubringen. Ein Kind formulierte vor kurzem dieses Ziel. Mein Vorgehen war wie folgt: Wir haben aus Holz ein Übungsbrett hergestellt und Bänder unterschiedlichsten Materials genommen. Dieses Brett durfte das Kind mit nach Hause nehmen und sollte es zu jeder Einheit wieder mitbringen. Die Schleife wurde dann in kleinere Schritte zerlegt, welche ich dem Kind gezeigt habe (hätte das Kind selbst versuchen müssen?) und er zu Hause dann üben sollte. Letztendlich konnte das Kind die Schleife. Bin ich hier auf dem richtigen Weg? Ich weiß natürlich, dass es nicht den einen Weg gibt, ich bin mir in meinem Tun jedoch ein wenig unsicher, da ich leider keine Möglichkeit habe, fachliche Rückmeldungen zu erhalten. Ich sah die Schleife in dem Moment als sehr alltagsnah, vielleicht hätte ich aber auch die Mutter anleiten müssen, es evtl. auf diese Weise mit dem Kind durchzuführen?

- Inwieweit wird die Frequenz der Behandlungseinheiten eingehalten? Ist es nicht so, dass Übungen eine gewisse Zeit benötigen? Macht es dann Sinn, über Wochen hinweg regelmäßige Termine zu machen? Oder wird es so kleinschrittig vermittelt, dass jede Woche etwas neues dazu kommen kann?

Ich habe noch jede Menge Fragen, aber ich hoffe, dass sich vieles auch im Laufe des Beitrags klären kann.

Vielen Dank schon jetzt an alle die, die sich beteiligen werden.


20. Februar 2011 22:16 # 2
Registriert seit: 25.11.2003
Beiträge: 138

Liebe Sonja,

du sprichst mir aus der Seele. Vielen Dank für deinen Beitrag. Ich hoffe hier melden sich viele, welche sich konstruktiv an einer nicht wertender Diskussion beteiligen.
Auch ich arbeite seit einem halben Jahr in einer Praxis in der klassisch ergotherapeutisch gearbeitet wird. Man stellt sich dann auch die Frage in wie weit übergeht man seine Chefin, wenn man sich nun für neue Wege interessiert. Sie ist unter anderem SI-Therapeutin und schwört darauf. An diesem Wochenende habe ich an einem Einführungskurs in die SI teilgenommen und muss sagen, dass ich trotz aller modernen ergotherapeutischen Entwicklungen, ich die SI als eine gute Grundage für unseren Job sehe. Aber mir ist bewusst, dass SI nicht alles ist.
Leider strudel ich nun ziemlich herum, da ich nicht weiß, wie es für mich weiter gehen soll.

Liebste Grüße
Mandy

20. Februar 2011 23:45 # 3
Registriert seit: 03.02.2010
Beiträge: 37

Hallo zusammen!

Ich beteilige mich auch gerne an dieser Diskussion. Denn auch ich denke über das Thema Zielsetzung ständig und in jeder Einheit nach.

Oft kommen Eltern zu mir, mit ihren eigen Vorstellungen davon, wie weit ein Kind in jenem Alter entwickelt sein müsste oder sie vergleichen es mit anderen Kindern. Da bin ich froh, dass ich dieses tolle Instrument, das COPM habe, mit dem ich nämlich ganz gezielt frage, wann und in welchen Bereichen Probleme auftreten und wie wichtig sie eine Verbesserung empfinden. Oft sitzen denn die Eltern da und sagen selbst, naja, so "schlimm" ist es ja gar nicht. Genau, denn eigentlich wird der Alltag gar nicht beeinträchtigt.

Ein Vater kommt mit seiner 4-jährigen Tochter zu mir, weil der Kinderarzt in einer U-Untersuchung feststellte, sie könne einen Ball nicht fangen. Muss sie das denn können? Motorisch ist sie total unauffällig. Sie spielt halt lieber mit Puppen und schminkt sich, ganz im Gegenteil zu ihrem Bruder, der total ballbesessen ist...

Oder- muss man eine "unreife" Stifthaltung im Vorschulalter korrigieren? Als ich die legendäre Griffverdickung mit nach Hause gegeben habe, hat sich das Kind vehement geweigert auch nur ein Bild damit zu malen... Abgesehen davon, kann das Kind völlig altersentsprechend malen und tut dies auch gerne. Sie hält den Stift halt nur anders, als es vorgesehen wird, hat aber überhaupt keine Probleme damit...

Oder- ein 3-jähriges Kind kommt zu mir, weil es den Mund offen stehen lässt und eben auch dabei Speichelfluss hat. Es ist etwas hyperton und redet noch nicht so viel... Was soll ich der Mutter jetzt sagen? Es bekommt genügend Bewegung, geht zum kinderturnen, hat genügend Kontakt zu Gleichaltrigen... ist viel draußen etc... Es hat halt nur nicht so einen Bewegungsdrang, wie vielleicht andere Kinder...Ist das jetzt behandlungsbedürftig? (Oder sollte ich es etwa zum Kinderpsychiater schicken zur Autismus- oder ADS-Abklärung?)Gönnt man denn den Kindern überhaupt keine Zeit mehr, sich ihrer Persönlichkeit entsprechend zu entwickeln? Sobald etwas von der Norm abweicht, ab zur ergo oder sonst wo hin...Naja, es schafft mir Arbeit...
Ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn ich solchen Eltern sagen müsste, dass ergo unumgänglich ist. Ich fühle mich wohler, wenn ich dann sage, bieten Sie Ihrem Kind genügend Bewegung. Wenn Eltern dies schon tun, dann ist das doch toll, weiter So! Nicht alle Kinder entwickeln sich gleich schnell!

Auch fühle ich mich wohl dabei, wenn mehr und mehr Zielformulierungen aussehen wie, Kind kann sich in der Schule nun 30 min aufmerksam einer Aufgabe widmen, oder Kind schafft es nun sich besser zu regulieren und Konflikten aus dem weg zugehen, oder Kind kann sich eine Schleife binden...

Das ist doch Alltagsbezug. Und das ist doch unser Ziel, größtmögliche Handlungskompetenzen herzustellen oder zu erhalten... Ich finde man sollte etwas Abstand davon gewinnen Kinder zu "pathologisieren". Sie von einem Termin zum nächsten zu jagen, in der Hoffnung, sie würden bald nicht mehr auffallen. Ein Kind, neun Jahre alt, das grade eine Odyssee an Therapeutenbesuchen durchlebt, (ADHS) sagte neulich zu mir, ich wünsche mir mal eine Woche "frei" zu haben und zu keinem Termin zu müssen. Statt dessen möchte es lieber mal ins Schwimmbad... Mir kamen fast die Tränen...


„Liebe mich auch dann, wenn ich es am wenigsten verdient habe, denn dann brauche ich es am meisten.“

unbekannt
21. Februar 2011 16:58 # 4
Mschiew.
Mschiew.
Ehemaliges Mitglied
Beiträge: 935

Geändert am 21.02.2011 17:03:00
Zitat:


Oder- muss man eine "unreife" Stifthaltung im Vorschulalter korrigieren? Als ich die legendäre Griffverdickung mit nach Hause gegeben habe, hat sich das Kind vehement geweigert auch nur ein Bild damit zu malen... Abgesehen davon, kann das Kind völlig altersentsprechend malen und tut dies auch gerne. Sie hält den Stift halt nur anders, als es vorgesehen wird, hat aber überhaupt keine Probleme damit...

Oder- ein 3-jähriges Kind kommt zu mir, weil es den Mund offen stehen lässt und eben auch dabei Speichelfluss hat. Es ist etwas hyperton und redet noch nicht so viel... Was soll ich der Mutter jetzt sagen? Es bekommt genügend Bewegung, geht zum kinderturnen, hat genügend Kontakt zu Gleichaltrigen... ist viel draußen etc... Es hat halt nur nicht so einen Bewegungsdrang, wie vielleicht andere Kinder...Ist das jetzt behandlungsbedürftig?


Hallo,

Das ist wirklich mal ein gute, weil aktuelle und inhaltliche, Diskussion.
Ich denke, dass viele Ergos in den letzen Jahren so ziehm,lich alles und jeden irgendwie behandelt haben. Was letzendlich auch ein Resultat der vielen vielen Ergoschulen ist, die einfach nicht gute Ausbildung leisten konnten und dem teilweise doch recht umfassenden Gebiet der Ergotherapie, was wir aber nicht immer genau punktuell beschreiben konnten.
Nun ist ja doch recht viel passiert. ICF und COPM lassen grüßen. Und wir bekommen endloch eine richtig gute Grundlage für unsere Behandlung. Doch jetzt sollten wir nicht anfangen bestimte Behandlungskonzepte zu negieren und andere hervorzuheben. Ich denke zunächst einmal dass jedes Konzept mit dem TherapuetenIn steht und fällt. Und dieser kann mit seinem Wissen und seiner Intition vieles erreichen oder eben nicht.

Der Alltagsgedanke der jetzt viel mehr zum tragen kommt ist unendlich gut für unsere Profession. Aber jetzt müssen wir auch da qualitativ gut die Kinder beobachten.
Bezugnehmend zu den oben zitierten Beispielen fallen mir folgende Gedanken ein.

Man sollte sich die Grenzsteine als Grundlage in der Pädiatrie machen. Dort stehen die Fähigkeiten drin die ein Kind in seiner Entwicklung machen muss. Diese sind auch die Grundlage für die U.Untersuchungen. Ich denke, dass sich ein Arzt durchaus Gedanken macht, wenn er ein Rezept ausstellt. Denn es geht schließlich nicht nur um Alltagsbewältigung sondern auch um die Bewertung von Bewegungsausführung (ich meine hiwerbei nicht Perfektion). Und dieses Item sollten wir nicht vergessen. Denn ein Kind sollte in der Vorschule in der Lage sein einen Stift zu halten, um damit zu malen oder dann zu schreiben. Und es sollte eine altergerechte Leistung dabei herrauskommen.

Desweiteren wird nun oft die TOP DOWN Methode als DIE Methode der Ergotherapeuten favourisiert. Ich persönlich denke nie in schwarz weiß sonder immer dazwischen. Ich möchte nicht unbedingt eine Entscheidung treffen zwischen Top Down oder Bottom up. In nehme da die IN BETWEEN Methode . Mal ehrlich; wenn das Kind sich nicht anziehen kann weil es seinen Haltungstonus der Bewegung nicht anpassen kann...Warum sollte ich nicht zunächst in den Therapieeinheiten auf der Körperebene arbeiten um anschließen in die Partizipation/Aktivität zu kommen? Ich finde dies gehört sehr wohl zu einer kompeteneten Behandlung dazu.

Auch finde ich Parcours prinzipiell nicht verwerflich. NUR man muss sich überlegen warum man dies tut. Und unter Umständen kann dies auch ein Lebensbereich des Kindes sein, das es meistern möchte. KITAS und Schulen für Behinderungen benutzen diese Medien oft im Sportunterricht. Aber natürlich sollte dies nicht einziger Bestandteil der Therapie sein. Das sollte nun aber auch allen klar sein.

Das waren so meine ersten Gedanken dazu.
Ich hoffe ihr konntet mir folgen....




www.schiewack.de
21. Februar 2011 17:37 # 5
Registriert seit: 03.07.2007
Beiträge: 490

Geändert am 24.02.2011 15:55:00


21. Februar 2011 18:06 # 6
Registriert seit: 02.06.2005
Beiträge: 3215

Hallo sonja.

Interessanter Beitrag. Gute Idee von Dir, ihn einzustellen.

Zitat:
Mir fehlen nun die praktischen Beispiele. Ich versuche, alltagsnahe Zielsetzungen und Überprüfbarkeit unter Einbezug der Eltern anzuwenden, aber es gelingt mir nicht immer.


Das ist eine logische Folge der spezifischen, klientenorientierten Therapie. Denn der große Unterschied zu maßnahmenbezogenen Behandlungen ist, dass die Klienten invididuelle Ziele haben und der Therapieansatz entsprechend angepaßt wird.
Es gibt zwar Ziele, die häufig genannt werden, aber die Lösungsansätze der Patienten sind unterschiedlich und ihre Ressourcen auch. So muß sich der Therapeut auf jeden Patienten und die entsprechende Behandlung neu einstellen.
Damit das nicht zu anstrengend und anspruchsvoll für den Therapeuten wird, sollte man zumindestens den Ablauf der Therapie, das übergeordnete Konzept gut strukturieren. Also bestimmte "Haltepunkte" haben, an denen man ganz bestimmte Dinge tut. Bsp. Am Anfang der Behandlung ein ZielVB-assessment nutzen, Strukturierungshilfen für die Elternanleitung einsetzen, eine Checkliste für Elterngespräche haben. Und v.a. sich Gedanken machen, welche Infos man braucht und welche nicht.
Auf diese Art und Weise entwickelt sich Routine, so dass man den Kopf frei hat, ganz nah an den individuellen Bedürfnissen der Patienten zu arbeiten.



Zitat:
- Haben Hängematten & Co noch Daseinsberechtigung? Abgesehen davon, wenn das Kind lernen möchte, es am längsten von allen Kindern im Kindergarten in der Hängematte auszuhalten Sondern eben als Stimulant.

Einige Therapiematerialien haben längst Einzug in die Kitas gehalten, z.B. Rollbretter und Hängematten. Sie kommen dem kindlichen Bewegungsdrang entgegen und Kinder spielen gern mit ihnen.
Ich habe eine Hängematte in der Praxis, denn für einige Kinder ist es angezeigt, wenn sie sich abends dadurch beruhigen, dass sie eine Weile schaukeln. Das kann bei uns ausprobiert werden und dann zuhause eingeführt.

Zitat:
- Was beinhaltet Alltag? Ich erinnere mich an eine Diskussion, ob es Bestandteil der Ergotherapie sei, einem Kind die Schleife beizubringen. Ein Kind formulierte vor kurzem dieses Ziel. Mein Vorgehen war wie folgt: Wir haben aus Holz ein Übungsbrett hergestellt und Bänder unterschiedlichsten Materials genommen. Dieses Brett durfte das Kind mit nach Hause nehmen und sollte es zu jeder Einheit wieder mitbringen. Die Schleife wurde dann in kleinere Schritte zerlegt, welche ich dem Kind gezeigt habe (hätte das Kind selbst versuchen müssen?) und er zu Hause dann üben sollte. Letztendlich konnte das Kind die Schleife. Bin ich hier auf dem richtigen Weg?

Auf jeden Fall. Fachlich absolut, denn das Kind hat sein Ziel erreicht. Evtl. hilft dir das Buch "CO-OP" noch weiter, denn das beschäftigt sich mit dem Aufbau alltagsorientierter Therapie bei Kindern.
Formal ist es so, dass wir für Therapie auf der Aktivitätsebene bezahlt werden. Was dazu zählt, steht in der ICF (zwar vermischt mit der "Teilhabe", aber die ist Grundlage des SGB, also auch des SGB V, der unsere Arbeit regelt). Das COPM, das du bereits nutzt, ist auf die ICF ausgerichtet. Die Punkte, die dort in den Bereichen "Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit) aufgeführt werden, sind die Grundlage unserer Arbeit. Die häufig aufgeführten Funktionsdefizite "Koordinationstörung, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit" bilden nur den Anlaß für die Behandlung, nicht das Ziel.

Zitat:
Ich weiß natürlich, dass es nicht den einen Weg gibt, ich bin mir in meinem Tun jedoch ein wenig unsicher, da ich leider keine Möglichkeit habe, fachliche Rückmeldungen zu erhalten. Ich sah die Schleife in dem Moment als sehr alltagsnah, vielleicht hätte ich aber auch die Mutter anleiten müssen, es evtl. auf diese Weise mit dem Kind durchzuführen?

Idealerweise lernen Eltern und Kinder bei uns Strategien für die Bewältigung alltäglicher Probleme, die sich aus ihrer Diagnose ergeben. Elternanleitung ist sehr sinnvoll, da sie den Transfer des Gelernten in den Alltag gewährleistet.

Zitat:
- Inwieweit wird die Frequenz der Behandlungseinheiten eingehalten? Ist es nicht so, dass Übungen eine gewisse Zeit benötigen? Macht es dann Sinn, über Wochen hinweg regelmäßige Termine zu machen? Oder wird es so kleinschrittig vermittelt, dass jede Woche etwas neues dazu kommen kann?

Nach dem Drei-Stufen-Modell motorischen Lernens nach Fitts und Posner gehört "Üben" in die Phase des assoziativen Lernens. Die Phase des kognitiven Bewegungslernens steht am Anfang, wenn etwas Neues erarbeitet wird.
Ich halte es für günstig und effektiv, wenn innerhalb der Therapie auf der ersten Stufe gearbeitet wird und Eltern und Kind angeleitet werden, die Stufe zwei "Üben" außerhalb der Therapie statt findet.
Das CMOP ist so angelegt, dass die Ziele der Patienten besonders bedeutsam sind, d.h. quasi stellvertretend für viele andere Ziele stehen, die natürlich nicht alle innerhalb der Therapie bearbeitet werden können. Die Patienten sollen von uns fit gemacht werden, soweit fit gemacht werden, dass sie nach Beendigung der Therapie ihre Probleme selbst lösen.


Grüße von



Oetken1
22. Februar 2011 21:17 # 7
sonja.
sonja.
Ehemaliges Mitglied
Beiträge: 238

Zitat:
Oft kommen Eltern zu mir, mit ihren eigen Vorstellungen davon, wie weit ein Kind in jenem Alter entwickelt sein müsste oder sie vergleichen es mit anderen Kindern. Da bin ich froh, dass ich dieses tolle Instrument, das COPM habe, mit dem ich nämlich ganz gezielt frage, wann und in welchen Bereichen Probleme auftreten und wie wichtig sie eine Verbesserung empfinden. Oft sitzen denn die Eltern da und sagen selbst, naja, so "schlimm" ist es ja gar nicht. Genau, denn eigentlich wird der Alltag gar nicht beeinträchtigt.


Solche Erfahrungen habe ich auch gemacht. Oft sind es auch Eltern, die eigentlich gar nicht wissen, warum ihr Kind zur Ergotherapie soll – der Arzt hat es eben verordnet. Ich frage auch beim Erstkontakt am Telefon grob worum es geht, warum das Kind Ergotherapie bekommen soll. Als Antwort wird dann die Diagnose vorgelesen bzw. versucht vorzulesen.
Wie reagiert ihr bei solchen Patienten? Durchtesten, bis irgendein Defizit auffällt kann und darf nicht Mittel der Wahl sein. Wegschicken finde ich aber ebenfalls schwierig. Rücksprache mit dem Arzt und seine Verordnung damit in Frage stellen?
Ist eine Diagnose vorhanden, müssen Auffälligkeiten im Alltag bestehen. Oft werden Auffälligkeiten aber gut kompensiert – z.T. auch von den Eltern. Wie ist die Compliance der Eltern einzustufen, die sich über Jahre hinweg Strategien angeeignet haben, mit ihrem Kind „umzugehen“? Der Leidensdruck scheint z.T. nicht hoch genug zu sein. Übungen werden „vergessen“, man hatte „keine Zeit“… Ich muss mir angewöhnen, bei jedem Termin eine Zieleinschätzung ausfüllen zu lassen. Sollte es da zu Schwierigkeiten kommen, muss ich mir überlegen: Ist das Ziel wirklich wichtig genug? Sind die Übungen zu schwer? Passen die Übungen in den Familienalltag? Ich möchte auch nicht die ganze Familie „erziehen“, habe aber oft das Gefühl, dass dies die Grundlage darstellt. Inwieweit darf ich eingreifend tätig werden? Eine Mutter hat es einmal ganz klar abgelehnt, Struktur einzuführen. Auch der Hinweis darauf, dass ein Kind nur lernen kann, sich an Regeln zu halten, wenn es auch Regeln hat, hat mich nicht weiter gebracht. Im Prinzip ist die ganze Therapie doch am Ende zu viel Arbeit und Umstellung im Alltag – die ja nicht nur das Kind betreffen. Und dies ist genau der Punkt, an dem ich Schwierigkeiten habe. Eltern wegschicken (letzte Instanz), die dann zu einem anderen Therapeuten gehen, um das Kind „abzugeben“ oder innerhalb meiner Möglichkeiten versuchen, das Kind so weit anzuleiten, trotz der Lebensumstände einigermaßen zurecht zu kommen und immer wieder versuchen, die Eltern einzubeziehen.

Ich danke euch für eure bisherigen Beiträge, ich ziehe sehr viel Positives für mich und meine Arbeit daraus. Ich hoffe, dass noch einiges zusammenkommt.

Danke, oetken1 für die Buchempfehlung. Du meinst wahrscheinlich Ergotherapie bei Kindern mit Koordinationsstörungen? Oder gibt es noch ein Buch, in dem der CO-OP Ansatz allgemeiner beschrieben wird?


23. Februar 2011 19:35 # 8
Registriert seit: 02.06.2005
Beiträge: 3215

Geändert am 23.02.2011 19:38:00
Zitat:

Oft sind es auch Eltern, die eigentlich gar nicht wissen, warum ihr Kind zur Ergotherapie soll – der Arzt hat es eben verordnet. Ich frage auch beim Erstkontakt am Telefon grob worum es geht, warum das Kind Ergotherapie bekommen soll. Als Antwort wird dann die Diagnose vorgelesen bzw. versucht vorzulesen.
Wie reagiert ihr bei solchen Patienten? Durchtesten, bis irgendein Defizit auffällt kann und darf nicht Mittel der Wahl sein. Wegschicken finde ich aber ebenfalls schwierig. Rücksprache mit dem Arzt und seine Verordnung damit in Frage stellen?


Da spielen mehrere Sachen rein.
Einmal, dass es innerhalb der Ärzteschaft wenig Konsens darüber gibt, wann bzw. durch welche "Auffälligkeiten" gerechtfertigt ein Kind Therapie bekommen sollte. Es gibt zwar jetzt erste Ansätze Leitlinien zu entwickeln - z.B. zu DCD, was auf der Tagung in Vaihingen im März vorgestellt wird Link, aber insgesamt bleibt noch viel zu tun.
Die hier schon empfohlenen "Meilensteine der Entwicklung" sind ein gutes Screening.
Meine praktische Erfahrung ist, dass die meisten Ärzte schon wissen, was sie tun, auch wenn sie die Auffälligkeiten nicht immer an etwas speziellen festmachen können.
Insofern frage ich die Eltern immer, was sie denn glauben, warum der Arzt Ergo verordnet hat, bzw. was denn genau besprochen wurde. Bei Eltern, die dann "reklamieren" wollen im Sinne von "der erzählt da was" reagiere ich so, dass ich sie bitte, den Arzt bei Gelegenheit nochmal auf seine Motivation zu Verordnen anzusprechen. So vermeide ich ein "Drama-Dreieck", denn dieser Typ Eltern neigt dazu, gegenüber dem Arzt genauso aufzutreten "Frau Oetken hat gesagt..... aber das ist doch gar nicht so". Insofern unterstüzen die Ärzte und ich uns gegenseitig, indem wir den Eltern Grenzen setzen und sie bitten, ihre Frage direkt an den Adressaten zu stellen.
Aber aus Akquisegründen sollte man mit den Ärzten darüber sprechen, wie das "Beschwerdemanagement" insgesamt aussehen soll. Auf keinen Fall sollte es so ausgehen, dass sich Arzt und Therapeut gegenseitig in den Rücken fallen und die Eltern aus der Verantwortung entlassen werden.

Bei einem COPM oder einem COSA fällt den meisten Eltern was ein. Wenn nicht, bzw. hartnäckig behauptet wird, bitte ich darum, dass die Eltern mit Erziehern bzw. Lehrern reden und pausiere so lange mit der Therapie. Kommt dann auch nichts, telefoniere ich mit dem Arzt deswegen.
Diese Fälle sind aber selten.

Ansonsten schwöre ich auf die Reihe "Mein Kind im .... Lebensjahr", rowohlt TB , bei manchen Eltern ist es so, dass sie schlichtweg keine Vorstellung davon haben, was ein Kind in welchem Alter können sollte.

Zitat:
Der Leidensdruck scheint z.T. nicht hoch genug zu sein. Übungen werden „vergessen“, man hatte „keine Zeit“… Ich muss mir angewöhnen, bei jedem Termin eine Zieleinschätzung ausfüllen zu lassen.

"Hausaufgaben" von Seiten des Therapeuten zu stellen, halte ich persönlich nicht für günstig. Viel zu direktiv. Ich bin dazu übergegangen Eltern deren Vorstellungen weit von denen der Kinder abweichen, ein eigenes "Wochenbuch" zu geben, bzw. führen zu lassen. Es bleibt in der Akte, wird von ihnen während der Einheit ausgefüllt und enthält auch die Rubrik "Ziel der Woche". Dabei sollen sie auch stichwortartig notieren, welche Lösungsansätze sie schon haben und mir das Buch dann geben. Ich habe dann Zeit das durchzulesen und Vorschläge zur Optimierung zu machen. Beim nächsten Termin tragen sie ein, was davon hilfreich war, bzw. was sie umsetzen konnten. Eltern die nie was umsetzen können, lade ich zu einem Gespräch darüber ein. Es kann sein, dass es stichhaltige äußerer Umstände gibt dafür, dann setzen wir mit der Behandlung aus, bis es besser wird. Oder sie wollen nicht wirklich was ändern, das melde ich dann an den Arzt zurück. Immerhin sind sie die Eltern, sie tragen die Verantwortung, ich habe selbst ein Kind. Das ist eigentlich mein Standardspruch.
Ich komme ihnen sehr entgegen, mit viel spezifischer Unterstützung. Wenn das nicht reicht, empfehle ich ihnen eine externe Hilfe (Erziehungs- Sucht oder Schuldnerberatung, evtl auch Familientherapie oder Psychotherapie). Immerhin sind die Eltern unserer Therapiekinder häufig selbst betroffen (verschiedene Auffälligkeiten, die eben nicht "ausgewachsen" sind).

Zitat:
Sollte es da zu Schwierigkeiten kommen, muss ich mir überlegen: Ist das Ziel wirklich wichtig genug?
CMOP folgt nicht umsonst dem Prinzip der "geteilten Verantwortung". Für die Wichtigkeit des Ziels tragen die Eltern die Verantwortung. Sie hatten die Gelegenheit, sich zu entscheiden.

Zitat:
Sind die Übungen zu schwer? Passen die Übungen in den Familienalltag? Ich möchte auch nicht die ganze Familie „erziehen“, habe aber oft das Gefühl, dass dies die Grundlage darstellt. Inwieweit darf ich eingreifend tätig werden? Eine Mutter hat es einmal ganz klar abgelehnt, Struktur einzuführen. Auch der Hinweis darauf, dass ein Kind nur lernen kann, sich an Regeln zu halten, wenn es auch Regeln hat, hat mich nicht weiter gebracht. Im Prinzip ist die ganze Therapie doch am Ende zu viel Arbeit und Umstellung im Alltag – die ja nicht nur das Kind betreffen.

Ein wichtiger Punkt. Leider kommt innerhalb unserer Ausbildungen und Weiterbildungen der Punkt "Auftragsklärung" entschieden zu kurz. Da können wir uns bei den Systemikern und Verhaltenstherapeuten etwas abschauen. Eltern die so reagieren, ist nicht klar geworden, wer welche Rolle im Therapieproze´ß einnimmt.

Zitat:
Und dies ist genau der Punkt, an dem ich Schwierigkeiten habe. Eltern wegschicken (letzte Instanz), die dann zu einem anderen Therapeuten gehen, um das Kind „abzugeben“ oder innerhalb meiner Möglichkeiten versuchen, das Kind so weit anzuleiten, trotz der Lebensumstände einigermaßen zurecht zu kommen und immer wieder versuchen, die Eltern einzubeziehen.

Das grundsätzliche Vorgehen hier immer mit Ärzten und Praxisinhabern abklären. Es ist z.B ein großer Unterschied, ob ein Kind reaktive Probleme hat, weil ein Elternteil psychisch krank ist, oder ob Eltern schlichtweg routinierte Delegierer sind. Im ersten Fall versuche ich eine Familienhilfe zu organisieren bzw. Paten für das Kind, im zweiten Fall setze ich den Eltern ganz klar Grenzen.
Sie belasten durch ihre mangelnde Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, das soziale System. In solchen Fällen nenne ich gern ein paar Zahlen, z.B. dass ich wenn ich meinen Mitarbeitern 1000 Euro aufs Konto überweise immer auch 900 Euro Soz.vers. und Lohnsteuer zahle. Und dass ich eine 60 - 70Stundenwoche habe und manchmal auch versucht bin, andere meine Probleme lösen zu lassen, wenn ich sehe, wie bequem es sich manche Menschen in der sozialen Hängematte machen. Das alles sage ich sehr freundlich und bestimmt und es wirkt so gut wie immer.
Ist zum Glück nur selten nötig und ich kombiniere es immer mit Ermutigung. Denn hinter dem Verhalten steckt "erlernte Hilflosigkeit" (Depression), die durch unser "Helfersystem" immer munter am Leben gehalten wird. Ich sage den Eltern dann, dass sie innerhalb der Ergotherapie die Chance haben, durch viele kleine Dinge, die sie ausprobieren und Schritt für Schritt verändern Erfolg zu haben. Genau wie ihre Kinder.
Manchmal, im Falle von pubertierenden aus dem Ruder gelaufenen Kindern, die den Eltern, meist den Müttern auf dem Kopf herumtanzen entwickle ich auch ein Szenario der Zukunft, wenn die Mütter meinen, es sei zu "anstrengend" Grenzen zu setzen. Ich berichte, dass Mäxchen jetzt mit 9 Jahren ja noch zu händeln ist, aber wenn es so weiter geht und er erst 12 oder 13 ist, die Mutter vermutlich bedrohen und beklauen wird, abgesehen davon, dass er sich möglicherweise Jugendbanden anschließt. Und es doch besser ist, jetzt anzufangen, als in ein paar Jahren die Polizei ständig vor der Tür zu haben.
Liegt eine regelrechte emotionale Vernachlässigung vor, dann informiere ich nach Rücksprache mit dem Arzt das Jugendamt. Eltern haben in unserer Gesellschaft sehr viele Freiheiten, manche zu viele.

Zitat:
Du meinst wahrscheinlich Ergotherapie bei Kindern mit Koordinationsstörungen? Oder gibt es noch ein Buch, in dem der CO-OP Ansatz allgemeiner beschrieben wird?

Ja das meine ich. Kürzere Fassungen gibt es in einigen Zeitschriftenartikeln, kannst du ergoogeln.

Herzliche Grüße von

Oetken1
23. Februar 2011 20:43 # 9
Registriert seit: 20.01.2003
Beiträge: 219

Hallo Sonja,

danke für deinen Beitrag! Ich habe in der Ausbildung noch ähnliche Inhalte gehabt, wie du sie beschreibst.
Durch meine tägliche Arbeit mit Kindern und Eltern bin ich auch an viele Grenzen gestoßen und musste mich durch viel Eigeninitiative, Fortbildungen und intensiver Lektüre zu neuen Ansätzen wie COPM etc. vorantasten.
Das wichtigste, was mir dabei im Gedächtnis geblieben ist, ist die Ganzheitlichkeit der Patienten. Es ist einfach schwierig nach Schema F oder Konzept sowieso zu arbeiten, wenn man nicht weiß was dabei eigentlich physisch,psychisch und emotional im Menschen vorgeht.
Diese Sichtweise hilft mir immer wieder dabei, nicht nur an einzelnen Symptomen herumzudoktern, sondern alles im Blick zu haben.
Es gelingt mir natürlich auch nicht immer, aber ich versuche es stetig.
Und auch, wenn es mir manchmal weh tut- manchen Menschen kann man einfach nicht helfen, wenn sie selbst es nicht wollen. Leider!
Ich habe auch lernen müssen, dass es mir nicht gut geht, wenn ich versuche Mutter Theresa zu sein und jeden zu retten- auch das muss man manchmal einfach zur Kenntnis nehmen ohne sich als Mensch oder Therapeut in Frage zu stellen.

Ich denke, was die Elternberatung bzw. Hausaufgaben betrifft, muss man auch immer individuell schauen, wer vor mir sitzt. Es gibt durchaus nicht so wenige Eltern, die Übungen mit dem Kind gut zu Hause umsetzen können und wollen.
Aus meiner Erfahrung werden immer die Übungen am wenigsten umgesetzt, die zusätzlich Zeit erfordern. Daher schaue ich, angelehnt an Ziele und Probleme, welche Übungen sich im Alltag einbauen lassen. Und ja, leider sind das oft banale Dinge wie abwaschen (meist gibts Geschirrspüler), Tisch decken oder Blumen gießen. (wenn du verstehst worauf ich hinaus will)

Ich freue mich auf weitere Beiträge zu dieser aktuellen und sicher mehr Ergos betreffenden Diskussion.
LG Ivo

25. Februar 2011 17:00 # 10
sonja.
sonja.
Ehemaliges Mitglied
Beiträge: 238

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