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Diskussionsforum

Kontaktfähigkeit durch Partnerarbeit

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20. Januar 2014 15:40 # 1
Registriert seit: 20.01.2014
Beiträge: 2

Hallo,

ich mache zurzeit ein Praktikum in einer psychatrischen Einrichtung und betreue eine depressive Klientin, die
Schwierigkeite hat, Kontakt zu anderen Mitpatienten aufzunehmen. Dies würde sie gern ändern.
Desshalb möchte ich ihr Vorschlagen, eine bestimmte Aufgabe in Partnerarbeit zu lösen, bei der sich die beiden über die Aufgabe austauschen müssen.
Allerdings bin ich mir nicht sicher welche Aufgabe ich dazu vorschlagen soll. ::unsure::
Ich könnte mir vorstellen, den Klienten eine handwerkliche Aufgabe zu geben, die anhand einer schriftlichen Anleitung gelöst werden soll.

Habt ihr weitere / genauere Ideen, welche Aufgaben ich sonst noch nehmen könnte?::smile::



20. Januar 2014 17:01 # 2
Mschiew.
Mschiew.
Ehemaliges Mitglied
Beiträge: 935

Geändert am 20.01.2014 17:02:00
Hallo,

Viele Aktivitäten können in einer Partnerarbeit absolviert werden. Wichtig wäre wie bei all unseren Klienten die Bedeutsamkeit und Alltags-relevanz der Tätigkeit für den/die Kienten

Ich spinne mal rum: Ein Kuchen backen für die Gruppe, kann für 2 Menschen eine Herausforderung sein, wenn es beinhaltet:

Was genau backen?
Wieviel backen?
Was einkaufen?
Wo einkaufen?
Wer kauft ein?
Woher das Geld bekommen?
Wer soll abrechnen?
Wer bäckt?
Wer spricht die Leute der Station an, um einzuladen
....


Viele Schritte, viele Möglichkeiten, Viele mögliche Hürden...


Micha
21. Januar 2014 01:11 # 3
Registriert seit: 20.05.2007
Bundesland: Schleswig-Holstein
Beiträge: 722

Hallo Linda M.,

du schreibst ja ganz deutlich, dass es um Kontaktaufnahme geht, also nicht um Kooperationsfähigkeiten, Kompromissbereitschaft, Kontakt halten, Teamarbeit, Durchsetzungsvermögen, Konfliktfähigkeiten oder sonstige soziale Kompetenzen. Ich frage mich, inwiefern eine von dir initiierte Partnerarbeit die Klientin befähigen soll, in Zukunft eigeninitiativ Kontakte zu knüpfen, das erschließt sich mir nicht. Der Kontakt wird ja in diesem Fall durch die Aufgabenstellung und deine Anleitung angebahnt, nicht durch die Klientin selbst.

Ich würde eine andere Herangehensweise wählen. Zunächst würden sich mir viele Fragen stellen: Worin genau besteht aus der Sicht der Klientin die Schwierigkeit? Welche Gedanken, Gefühle und situativen Faktoren halten sie davon ab, Kontakte zu knüpfen? Wie verhält sie sich in sozialen Situationen? Wie würde sie sich lieber verhalten und was bräuchte sie dafür? Wie nimmt sie sich selbst und die anderen wahr, wie weit stimmen diese Wahrnehmungen mit der Wahrnehmung anderer überein? Wie erlebst du und erleben andere die Klientin? Welche positiven und negativen Erfahrungen hat die Klientin in der Vergangenheit gemacht? Gab es Situationen/Lebensphasen, in denen ihr die Kontaktaufnahme leichter fiel? Was war da anders? usw... Je nachdem, was sich im Verlauf von Gesprächen und Beobachtungen ergibt.

Darauf aufbauend kann dann ein passender Therapieplan erstellt werden.

Ein Beispiel, das sicherlich nicht unbedingt auf deine Klientin zutrifft, aber hoffentlich verdeutlicht, was ich meine:

Klientin x fällt es schwer, Kontakte zu anderen Klienten zu knüpfen. Sie verhält sich zurückhaltend, Kommunikation und Kooperation finden nur durch die Initiative anderer statt. Die Therapeutin beobachtet, dass x zwar freundlich, aber außerordentlich einsilbig und wortkarg ist und Gespräche dadurch schnell verebben. x wirkt verschüchtert und zurückgezogen. Im Gespräch stellt sich heraus, dass x Ängste plagen, andere könnten sie ablehnen, negativ über sie denken, bei jedem Wort, jeder Geste ihrerseits Unzulänglichkeiten erkennen. Diese Gefühle schränken x in der Kontaktaufnahme stark ein und finden ihre äußere Entsprechung in oben beschriebenem Verhalten. Deutlich werden also starke Selbstoffenbarungsängste.

x berichtet, sie habe bis zur Pubertät leichter Kontakte knüpfen können. Sie sei unbedarfter gewesen und habe weniger darüber nachgedacht, was andere über sie denken könnten. Sie sei lebhaft, fröhlich und recht beliebt gewesen. Während der Pubertät habe sie ihre erste depressive Phase erlebt, infolge derer ihr bedingt durch die üblichen Identitätskrisen ohnehin fragiler Selbstwert gesunken sei. In dieser Zeit habe sie verstärkt Ablehnung und Ausgrenzung erfahren, was zusätzlich zu ihrem negativen Selbstbild beigetragen habe. Bis heute werde sie die daraus resultierenden Ängste und negativen Gedanken nicht los, zumal sie sich ja auch immer wieder bestätigen würden: Selbst wenn ein Kontakt zustande käme, verlören andere recht schnell wieder das Interesse (s.o.).

Die Therapeutin arbeitet mit x begünstigende Faktoren für die Kontaktaufnahme heraus. x schildert, in kleinen, überschaubaren Gruppen falle ihr die Kontaktaufnahme leichter. Ebenso komme sie besser mit Männern als mit Frauen zurecht. x nimmt an der gemischtgeschlechtlichen Kreativgruppe (Sozialform Einzelarbeit in der Gruppe) teil. Nach der nächsten Einheit analysiert die Therapeutin mit x die soziale Situation "Kreativgruppe". Aufgeschrieben wird tabellarisch jeweils die konkrete Situation (z.B. kurz vor Beginn, Teilnehmer betreten nach und nach den Raum, Therapeutin ist noch nicht anwesend, Gespräche entstehen) sowie die dabei entstandenen Gedanken und die aus diesen Gedanken resultierenden Gefühle und schließlich die Handlungen/das Verhalten (z.B. "Alle haben jemanden zum Reden, nur ich nicht" --> Einsamkeitsgefühle, Ablehnung --> Rückzug, unzufriedener Gesichtsausdruck, abweisende Körpersprache usw.; "Wie peinlich! Alle sehen, dass ich hier ganz alleine sitze und ausgeschlossen bin." --> Scham --> Überspielen durch "geschäftiges Tun", Beschäftigung mit Handy o.ä.). An dieser Stelle wird deutlich, dass x durch das aus ihren Gedanken und Gefühlen beeinflusste Verhalten dazu beiträgt, dass sie allein bleibt (z.B.: wer sich angestrengt seinem Handy widmet und offensichtlich beschäftigt wird, wird nicht angesprochen und integriert). Kommt x nicht selbst zu dieser Erkenntnis, ist es an der Therapeutin, dies behutsam und vor allem ohne Schuldzuweisung/Vorwürfe mit der Klientin herauszuarbeiten.

Im nächsten Schritt soll sich x alternative Gedanken überlegen: "Was hätte ich statt dessen denken können?" --> Funktionales Denken. In der nächsten Einheit soll x versuchen, sich auf diese funktionalen Gedanken zu besinnen und beobachten, wie diese geänderte Denkweise ihre Gefühle und das Verhalten beeinflussen. Diese Gedanken-, Gefühls- und Verhaltensänderungen werden ebenfalls schriftlich fixiert. Mit dieser Methode soll x nach und nach zu einer Gefühlsänderung geführt werden. Anfangs erfolgt dies sehr "mechanisch" und es stellt sich nicht unbedingt sofortiger Erfolg ein. Mit der Zeit wird x aber eine Veränderung bemerken.

Je nachdem, wie gut dies funktioniert und wie die Möglichkeiten im Rahmen der Behandlung sind, können neue Ziele vereinbart, Anforderungen gesteigert und neue Verhaltensweisen erprobt werden. Ein mögliches Ziel wäre beispielsweise die eigenständige Suche nach einem Arbeitspartner oder einem Team für eine Partner- oder Gruppenarbeit, das Smalltalk-Führen in der Zeitspanne vor Beginn und/oder während der Therapieeinheit bis hin zum Besuch einer externen Selbsthilfegruppe mit eigenständiger Kontaktaufnahme o.ä. Das alles muss eingebettet werden in einen Rahmen aus Vor- und Nachbereitung mit der Therapeutin. Möglich wäre auch (je nach Gegebenheiten und Gruppenkonstellation) eine Feedback-Übung in der Gruppe und/oder Videoarbeit. Dies stellt allerdings hohe Anforderungen an den Therapeuten, ich weiß nicht, ob du dem als Praktikantin gewachsen bist.

Du siehst also: Die konkrete Aufgabe für eine Partnerarbeit spielt keine so große Rolle, sondern ihre Einbettung in den Gesamtzusammenhang. Die Aufgabe ist schließlich nur das Medium, das "Mittel zum Zweck". Bei der Auswahl wäre dennoch zu berücksichtigen, ob es zunächst sinnvoll wäre, eine Aufgabe zu wählen, die der Klientin vertraut ist, um positive Voraussetzungen und keine zusätzlichen Unsicherheiten zu schaffen. Wichtig ist dabei aber auch, die anderen Teilnehmer nicht aus den Augen zu verlieren und auch diese bei der Planung zu berücksichtigen. Schließlich soll jeder Klient von der Therapie profitieren können, nicht nur eine einzelne Person.

Viel Erfolg und viele Grüße! Kinaa
Nicht alles, was Hand und Fuß hat, hat auch Herz und Hirn.
21. Januar 2014 14:14 # 4
Registriert seit: 14.01.2011
Beiträge: 976

@Kinaa, vielen Dank für deinen hervorragenden Beitrag, leider sehe ich als Dozentin die meisten Schüler mit diesem Arbeitsstil überfordert. Auch sehe ich Probleme dies in vielen Einrichtungen so zu gestalen, da es oft Kompetenzgerangel mit anderen Mitarbeitern (gerade) in psychiatrischen Einrichtungen gibt. Oft wird uns Ergotherapeuten noch nicht einmal ein ADL Training wie Einkaufen zugestanden, dafür fühlen sich die Psychologen zuständig.::mad::
Wenn meine Schüler so arbeiten würden/dürften oder könnten wäre ich begeistert.
"Fast alles, was wir gelernt haben, wissen wir nicht. Aber wir können es". (Spitzer)
21. Januar 2014 17:45 # 5
Registriert seit: 20.01.2014
Beiträge: 2

Vielen Dank für eure Antworten ::smile::

Ich werde jezt erstmal gemeinsam mit der Klientin in einem Gespräch herausfinden, worin genau die Schwierigkeiten bei der Kontakaufnahme liegen und anschließend muss ich nochmal an einer Aufgabe feilen ::smile::
21. Januar 2014 17:50 # 6
saloia
saloia
Ehemaliges Mitglied
Beiträge: 3624

liebe Kinaa--- ein einfaches Wow und Danke
21. Januar 2014 23:13 # 7
Registriert seit: 20.05.2007
Bundesland: Schleswig-Holstein
Beiträge: 722

Danke für eure Rückmeldungen, wie lieb ::blush::

Generell ist für mich die etwas "flache" Sichtweise auf den Menschen, die viele Schüler (aber auch Fachkollegen) an den Tag legen und die - leider - auch in den Schulen vielfach so vermittelt wird, schwierig. Wenn ein Patient mangelnde Kritikfähigkeit aufweist, muss man ihn eben ganz viel kritisieren, wenn er ein vermindertest Selbstwertgefühl hat, soll er "irgendwas basteln, worauf er dann stolz sein kann", wenn es an den Konfliktfähigkeiten mangelt, lässt man ihn halt irgendwelche Gruppenarbeiten machen, weil die Arbeit in einer Gruppe bei so etwas ja generell nicht verkehrt ist... ::mad:: Das ist doch keine sinnvolle Behandlung! Ich muss dazu sagen: An meiner Schule wurde dies auch so gelehrt. Will sagen: Ich habe mir meine Arbeitsweise selbst während meiner (übrigens noch gar nicht allzu lange andauernden) Berufstätigkeit erarbeitet (Wissensaneignung, Reflexion, Trial and Error...), bin also der "lebende Beweis" dafür, dass dies möglich ist und nicht allein die Schule und die Anleiter in den Praktika ausschlaggebend sind, sondern auch der (angehende) Therapeut selbst.

Dass meine Arbeitsweise für Praktikanten überfordernd sein kann, erlebe ich häufig. Aber ich versuche dennoch, sie zumindest heranzuführen. Denn für mich ist es keine Option, es "dann eben bleiben zu lassen". Ich investiere sehr viel Zeit (und Nerven) in die Praktikantenanleitung, begonnen bei den banalen Basics (z.B. "Schreibe dir eine Materialliste, wenn du ein Therapieangebot vorbereitest") über nützliches Handwerkszeug (z.B. Moderationstechniken, Techniken zur Vorbeugung schwieriger Situationen, Fachwissen usw.) bis hin zu intensiven Reflexionsgesprächen. Manchmal fruchtet es, manchmal beiße ich auf Granit.

Erschreckend für mich ist immer wieder, dass zahlreiche Praktikanten berichten, dass in ihren vorherigen Praktika überhaupt nicht mit ihnen reflektiert wurde, sondern sie "eben einfach drei Monate da waren", ebenso wie die Tatsache, dass die häufigsten (und notwendigsten) Sätze, die ich zu Praktikanten sage, sind: "Wenn du etwas vorbereitest, sagst oder tust, denke dir etwas dabei", "Menschen sind keine kleinen Aufziehroboter" und "Überlege dir immer, was sinnvoll ist."

Was die institutionellen und personellen Voraussetzungen für die Umsetzung dieses Vorgehens angeht:
Es mag nicht in jeder Einrichtung funktionieren, aber meiner Erfahrung nach höhlt steter Tropfen immer noch den Stein. In der Klinik, in der ich arbeite (bzw. in ihren Vorgängereinrichtungen), waren Ergotherapeuten jahrzehntelang als "Basteltanten" und "Mädchen für alles" bekannt - ein Ruf, an dem sie selbst nicht ganz unschuldig waren, denn dementsprechend haben sie auch gearbeitet. Ich habe viel Zeit und Mühe investiert, um Konzepte zu schreiben, wieder zu verwerfen und zu modifizieren, neue Therapieangebote zu entwickeln, mein Vorgehen schlüssig zu begründen usw. Meine wichtigsten Begleiter dabei waren Transparenz und Kooperation und Absprache mit angrenzenden Berufsgruppen. Mittlerweile habe ich unter den Kollegen einen guten Ruf, erfahre Wertschätzung und niemand fühlt sich von mir auf den Schlips getreten, da ich von Anfang an alle anderen Behandler des interdisziplinären Teams mit einbezogen habe. Kurzum: Ich habe jede Menge investiert und gekämpft, es war nicht immer einfach, aber man kann sich das erarbeiten.

Sollte man sich damit überfordert fühlen, würde ich die Möglichkeit der Kooperation mit anderen Berufsgruppen in Erwägung ziehen. So könnte die Ergotherapie zum Beispiel den Part der "praktischen Durchführung" übernehmen und die Psychotherapie den Part der Vor- und Nachbesprechung bzw. der theoretischen Einbettung des Erlebten. Dies setzt allerdings enge Zusammenarbeit und Kooperation voraus.

Aber ich merke: Ich schweife ab. Für mich ist das alles ein wichtiges Thema, merkt man vermutlich ::wink:: Nun will ich aber den Thread nicht weiter sprengen, schließlich "gehört" er Linda M.

Viele Grüße! Kinaa
Nicht alles, was Hand und Fuß hat, hat auch Herz und Hirn.
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