Geändert am 28.07.2014 00:15:00
Zitat / Karina89 hat geschrieben:Hallo,
ich versuche mich so kurz wie möglich zu fassen. Ich bin für alle Tipps und Vorschläge dankbar!!
wie oben beschrieben habe ich in der Therapie einen 7-Jährigen. Ich schreib einfach mal stichpunktartig einige Details auf:
- vestibulo-probriozeptive Wahrnehmungsverarbeitung (Aktivität steigt erheblich bei vest. Reizen, sucht prop. Reize,...)
- gestörtes Sozialverhalten vorwiegend im Kindergarten
- auch insgesamt zeigt er sich verhaltensauffällig
- Mutter wollte ihn einschulen, bei allen möglichen Tests durchgefallen, trotzdem angemeldet; im letzten Moment doch für die Vorschule entschieden (will noch nicht gemachten Entwicklungsschritte nicht wahrhaben)
- Defizite in Konzentration/Aufmerksamkeit, hört nicht zu! bzw. es kommt nichts an, er scheint zuzuhören weiß dann aber nach 5 mal wiederholen immer noch nicht was er tun soll!
- Tics: bis vor 2 Wochen Augenzwinkern, jetzt vokal ("mmh-mmh") + Schultern hochziehen; z.T. lautes Schreien/Quietschen im Turnraum
- Familiäre Probleme: Ältere Schwester (keine Einschränkungen, beschrieben wie die "perfekte" Tochter), Vater immer am Arbeiten, Mutter will die Probleme nicht wahrhaben, öffnet sich nicht, hat des öfteren Eheprobleme umschrieben, mehr war nicht möglich
was ich bisher gemacht habe:
- Befund
- Elternarbeit: Wochenplan ausfüllen lassen, Aufgaben für Zuhause wie Aufträge beim Einkaufen -> da er bei Haushalt/Einkaufen immer dabei ist aber nicht helfen darf!)
- vorwiegend SI
- teilweise kombiniert mit Arbeitsblättern, Konzentrations- und Merkfähigkeitsspiele
- Verhaltenstraining nach Jansen & Streit
Ich wäre für alle möglichen Ideen/Tipps/ etc. sehr dankbar!!!
Wäre auch toll, wenn ihr Literatur kennt v.a. bzgl. Tics und psych-Bereich bei Kindern. Hatte mal überlegt Richtung Rollenspiele/Familienaufstellungen zu gehen um genauer dahinter zu kommen... aber was bringts im Endeffekt wenn die Mutter eh nichts erzählt in diesem Bereich? Ich vermute der Junge bekommt Zuhause mehr mit als die Mutter erzählt und dass es dort krasser zugeht als man glaubt...
LG und Danke!
Hallo Karina89,
das Kind kommt zu dir in die Praxis mit einem Rezept. Dieses sollte die Diagnose und deinen Berhandlungsauftrag abbilden. Wenn es das nicht tut, dann kläre die Angelegenheit mit dem behandelnden Arzt, sonst wirst du dich verrennen.
Ergotherapeuten erheben zwar einen Befund, aber: Sie stellen keine Diagnose! Das ist und bleibt die Aufgabe des Arztes. Wenn der sich im Klaren darüber ist, wird er ein oder mehrere Heilmittel verordnen. Das sind Medikamente oder/und Therapien verschiedener Professionen oder eine Überweisung zum Facharzt/Spezialisten, ... Ich glaube, dass ich dir gerade nichts Neues erzähle, allerdings kommt mir deine Behandlungsstrategie etwas diffus vor, so dass ich Zweifel daran habe, dass dein Behandlungsauftrag wirklich geklärt ist.
Ich höre heraus: Entwicklungsverzögerung! Welcher Bereich ist definiert? Oder sind es mehrere? Hast du deine ergotherapeutische Befundaufnahme darauf ausgerichtet?
Ich höre heraus: Pragmatische Kommunikationsstörung! Da sind Logopäde und /oder Psychiater sicherlich hilfreicher. Findet so etwas statt. Was weißt du darüber?
Ich höre heraus: Verhaltensstörung! Vielleicht als Folge eines AD(H)S? Die Diagnose/n stellst nicht du! Wenn es dazu eine Diagnose gibt, kann ein Verhaltenstraining in der Ergotherapie als flankierende Maßnahme sinnvoll sein. Ist es das?
Ich höre heraus: Tics! Ist das neurologisch abgeklärt? Was soll Ergotherapie dagegen tun?? Haben diese Sachen etwas mit deinem Behandlungsauftrag zu tun?
Vielleicht habe ich ja auch alles falsch heraus gehört?
Du arbeitest jetzt auf vielen Baustellen - meiner Meinung nach auf zu vielen und außerdem auf welchen, wo vielleicht andere Professionen besser agieren könnten. Du hast nur begrenzte Therapiezeiten und du hast meines Erachtens keine klaren Therapieziele. Die Wahrscheinlichkeit, vieles anzufangen und dabei nichts oder nur wenig zu erreichen, ist relativ hoch. Deshalb solltest du dich auf das Wesentliche konzentrieren. Auf das, was du als Ergotherapeutin leisten kannst und in diesen verordneten Zeiten leisten sollst, nämlich das, was dem Behandlungsauftrag entspricht.
Jetzt willst jetzt auch noch mit Rollenspielen/Familienaufstellungen dahinterkommen, was zuhause alles schief läuft. Hast du das gelernt? Kannst du solche Phänomene erkennen, aus psychologischer Sicht beurteilen, von psychatrisch oder neurologisch relevanten Auffälligkeiten unterscheiden, wirkliche Erziehungshilfe oder psychologische Beratung und Begleitung anbieten, bekommst du die Folgen eventuell aufgedeckter innerer oder familärer Konflikte in den Griff ( Was wäre da möglich: suizidale Gedanken und Taten, totale Verweigerung einer Partei, Ehestreitigkeiten bei den Eltern, Ausreißen, Selbst- oder Femdgefährdungen, ...?) Ist es dein Job?
Wenn du meinst, dass etwas in der Behandlung bisher keine Berücksichtigung fand, dann kannst und solltest du solche Hinweise mit deinem Bericht an den Arzt weitergeben. Die Fäden laufen bei ihm zusammen. (Es kann aber auch sein, dass du nicht vollumfänglich über alle Maßnahmen unterrichtet bist.)
Also, mein Tipp: Rede mit dem behandelnden Arzt und kläre deinen Auftrag, richte deine Befundaufnahme darauf aus. Therapeutische Ziele, Mittel und Methoden kann man erst nach diesen Schritten festlegen und bestimmen.
Gruß, Ergo 05