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Ideensammlung für Quadrantenhemianopsie

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3. März 2015 20:52 # 1
Registriert seit: 12.08.2013
Beiträge: 5

Geändert am 08.03.2015 22:08:00
Hallo Kollegen,
ich benötige Anreize für meinen neuen Patienten- nach Aufnahmegespräch.
Es handelt sich um einen Mann mittleren Alters nach Schlaganfall letztes Jahr. Bei ihm sind keine motorischen oder sensorischen Defizite zurückgeblieben. Zurück blieb die Quadrantenhemianopsie linksseitig betont. Nach einigen Wochen hat sich der linke untere Quadrant verbessert- der obere Quadrant bleibt weiterhin im Ausfall. Zudem reagiert er empfindlich auf starkes Licht (trägt dauerhaft eine Sonnenbrille). Ihn strengt die Arbeit sehr an, wenn er auf weißes Papier blickt. Selbst hat er noch angegeben, dass seine Konzentration stark abgebaut hat.
Mein Patient musste im Verlauf der letzten Jahre seinen Beruf (den er leidenschaftlich nachging) sowie seine sportlichen Aktivitäten einstellen, aufgrund zahlreicher Erkrankungen am Herzen usw. Sein Lebenswille- eher gesagt sein positiver Blick in die Zukunft ist gebrochen und er steht der Ergotherapie sowie einer Besserung seiner Situation skeptisch gegenüber (wenn ihr euch fragt wieso er jetzt in Behandlung ist: sein Arzt habe es ihm empfohlen und er ging dieser Empfehlung einfach mal nach). Sein letzter Arbeitgeber würde ihn gerne wieder einstellen/ kleinere Aufgaben anvertrauen, jedoch fühlt sich mein Patient dem nicht gewachsen. Er wirkt, als habe er kein Ziel oder eine Betätigung, die ihn ausfüllen würde.
Ich benötige nun Ideen und Anreize, wie ich ihn entgegen kommen kann in der Ergo. Habe mich schon durch einige Artikel gelesen. Ich stelle mir vor großflächig zu arbeiten um den Blick nach oben links zu kompensieren. Den Raum würde ich nicht zu stark beleuchten und vorerst die weiße Tischplatte abdecken. Evtl auch am PC zu arbeiten.
Ich fand den Beitrag interessant auf großem Papier Buchstaben und Zahlen verbinden zu lassen. Ich wär dankbar um jeden weiteren Anreiz oder eine hilfreiche Idee.
Ich bedanke mich und wünsche allen soweit einen schönen Abend :)
Mao
4. März 2015 09:36 # 2
Registriert seit: 01.04.2014
Beiträge: 599

Was ist denn sein Ziel? Hast Du oder wirst Du z.B. das COPM mit ihm durchführen um das herauszufinden? Dann hättest Du einen guten Ansatz für die Therapie.
Wenn ihm eins seiner Hobbies wichtig ist, kannst Du vielleicht darauf mit ihm hinarbeiten. Oder je nach dem was seine berufliche Tätigkeit war darauf. Zumal wenn sein Chef ihn gerne wieder einstellen möchte. Evtl. nach Vertrauensaufbau ein Gespräch zu Dritt führen (mit dem Chef) um Möglichkeiten zu erarbeiten, wie dein Klient dort weiter arbeiten kann.
Ich würde auch Kontakt zum behandelnden Neurologen/Arzt aufnehmen, wie er die Prognose einschätzt.
7. März 2015 08:44 # 3
Registriert seit: 20.05.2007
Bundesland: Schleswig-Holstein
Beiträge: 722

Hallo Maora,

du berichtest, der Patient habe seine "geliebten sportlichen Aktivitäten" aufgeben müssen sowie seinen mit Leidenschaft ausgeübten Beruf, dem er sich nun nicht mehr gewachsen fühle. Er sei Herzkrank und stehe der Behandlung und einer Besserung skeptisch gegenüber, sprich: Er hat Zweifel, ob seine Lage sich überhaupt verbessern kann. Er sei ziellos und sehe (im Gegensatz zu der früher erlebten Leidenschaft) nichts erfüllendes in seinem Leben. Zu guter Letzt schreibst du auch noch von einem "gebrochenen Lebenswillen".

Wie kommst du bei all dem zu dem Schluss, er sei "psychisch nicht auffällig"? ::confused::

Für mein Empfinden ist das sogar ziemlich auffällig. Wurden Depressionen ausgeschlossen? Falls nicht, sollte eine diesbezügliche Diagnostik m.E. und ggf. je nach Ergebnis eine Behandlung dringend erfolgen. Auch seine eher passive Haltung würde dazu passen. Für einen Menschen, der für sich keine Zukunft sieht, ist es nun mal kaum möglich, an so etwas originär zukunftsorientiertem wie Zielen zu arbeiten, er ist u.U. gar nicht therapiefähig. Das heißt, eine Behandlung der Depression (wenn sie denn vorliegt) wäre m.E. die Grundlage für eine ergotherapeutische Behandlung der Schlaganfallfolgen.

Nur mal so als Denkanstoß.. Viele Grüße! Kinaa
Nicht alles, was Hand und Fuß hat, hat auch Herz und Hirn.
7. März 2015 14:01 # 4
Registriert seit: 08.05.2009
Beiträge: 305

Hi Kinaa
du sprichst mir aus der Seele. Mein erster Gedanke war auch: Klingt nach einer handfesten Depressionssymptomatik.
@maora sprich doch einmal mit dem behandelnden Arzt über diese Situation.

Viel Erfolg wünscht Andrea
Ich liebe unseren Beruf!
:-)
8. März 2015 22:05 # 5
Registriert seit: 12.08.2013
Beiträge: 5

Hallo zusammen,
erst einmal danke für eure Beiträge. Wenn ich mir das so im nach hinein nochmal durchlesen, fällt mir das auch auf, dass er psychisch betroffen ist. Ich glaub ich hab das aufgeschrieben, da ich dies so interpretiert habe, wie mein Patient es im Aufnahmegespräch geschildert hat.Er trägt es, wenn ich alles nochmal genauer reflektiere, auch nach außen!
Hatte nun meinen zweiten Termin mit ihm. Sein Auftreten mir gegenüber empfand ich schon angenehmer und etwas entspannter. Im Vordergrund steht für mich jetzt auch der Beziehungsaufbau.
Habe ihm eine großflächige Aufgabe gegeben (sollte quer verteilte Zahlen verbinden). Er hat für sich schon den "Blick" nach links gut verinnerlicht. Die Aufgabe konnte er lösen. Bei der Auswertung entstand ein weiteres Gespräch. Ich kann ihn gut nachvollziehen, wenn nach jedem Erfolgserlebnis den er sich beruflich und privat aufgebaut hat ein Rückschlag in Form einer Erkrankung kam. Und das es ihm mittlerweile schwer fällt "aufzustehen und weiterzumachen".
In der Therapie würde ich ihn gerne in folgendem Unterstützen:
- das Arbeits-/ Handlungsfeld, welches er visuell wahrnimmt bestimmen und durch Übungen festigen. Er berichtet, dass er im Alltag, z.B. Kochen gerne mal den links stehenden Messbecher umwirft.. Die linke Seite soll nicht vernachlässigt und zunehmend eingebaut werden. Dachte daran, den Tisch mit Krepp zu markieren (sein Handlungsfeld somit sichtbar machen) und ihn Aufgaben geben (z.B. Handwerk oder was aus Einzelteilen bauen lassen, wie Baufix oder praktische Tätigkeiten wie Kochen)
- so komme ich auch schon zum Nächsten Punkt, Stärkung der Konzentration. Als gelernter Journalist, denke ich, dass die Arbeit mit Cogpack gut wäre. Der Hintergrund ist dunkel gehalten und kommt ihm entgegen, da er den hellen Bildschirm als anstrengend erlebt
Mir kommt es noch so vor, dass mein Patient handfeste Ergebnisse braucht um sich besser zu fühlen. Ich hoffe, dass er durch Erfolge in der Therapie und weiteren Gesprächen etwas findet, wodurch er sich besser fühlt und privat anknüpfen kann. Ich glaube es wird sich auch viel entwickeln, dennoch würde es mich freuen und vor allem stärken, wenn ihr mich unterstützt mit guten Ratschlägen. Mir weiteres Gedankengut geben könntet und auf was ich so achten sollte. Hab mit diesem Krankheitsbild bislang noch nicht gearbeitet. Sehe es als Herausforderung und gleichzeitig empfinde ich dies noch als Hürde, da es für mich unbekanntes Terrain ist.
Freue mich für jeden Beitrag. Ich liebe unseren Beruf- und als Ergo mit 1 1/2 Jahren Berufserfahrung könnt ich von euch bestimmt noch VIEL Lernen. Danke, dass es Foren wie diese hier gibt!::thumbup::
9. März 2015 06:42 # 6
Registriert seit: 20.05.2007
Bundesland: Schleswig-Holstein
Beiträge: 722

Geändert am 09.03.2015 06:44:00
Hallo Maora,

das klingt doch schon mal gut, sieht aus, als würdet ihr langsam zueinander finden ::smile::
Die mögliche Depression würde ich nach wie vor im Hinterkopf behalten, möglicherweise ist eine Behandlung angezeigt (nicht von dir, sondern von Medizinern und Psychotherapeuten). Einfach mal weiter beobachten.

Was die Behandlung der Hemianopsie angeht, werden hier wesentlich kompetentere Therapeuten zugegen sein als ich, mein Arbeitsfeld ist ein ganz anderes. Sicher äußert sich noch jemand Erfahrenes dazu. Die Behandlungsplanung an sich klingt mir persönlich jedoch etwas zu sehr nach "ein bisschen hiervon...und dann ein bisschen davon... ein bisschen dieses und jenes wäre auch noch ganz schön...". Ich kann aus deinen Schilderungen nicht herauslesen, wobei genau der Patient Schwierigkeiten hat, welche teilhaberelevanten Einschränkungen bestehen. Es ist noch sehr schwammig und kaum greifbar. Kochen hattest du erwähnt und das Umstoßen des Messbechers. Okay, das ist doch schon mal eine konkrete Tätigkeit.

Aber was ist mit seinem Beruf und den anderen erwähnten Einschränkungen? Du schreibst, er fühle sich seinem Beruf "nicht gewachsen". Aber was bedeutet das? Was genau muss er in seinem Beruf tun? Was genau kann er noch sicher ausführen, was nicht? In welchen Punkten bzw. in Bezug auf welche Aufgaben hat er Zweifel?
Dasselbe in Bezug auf die Konzentration: Woran merkt der Patient, dass seine "Konzentration stark abgebaut" hat? Woran macht er das fest? Was ist anders im Vergleich zu früher? Woran genau merkt er das? Und woran würde er merken, dass seine Konzentration sich verbessert hat?

"Konzentration" ist ein theoretisches Konstrukt, deshalb ist es schwierig (und nicht unbedingt sinnvoll) damit zu arbeiten, wenn man den Begriff nicht für bzw. mit jedem Patienten genau definiert. "Die Konzentration" gibt es nicht. Viele Patienten berichten von mangelnder Konzentration, aber wie äußert sich diese im konkreten Fall? Bei der Beantwortung dieser Frage wird es erst interessant, erst diese gibt dir Aufschluss über das mögliche Vorgehen in der Behandlung. Bei manchen meiner Patienten reicht es schon, wenn sie sich einen Klebepunkt an die Stellen im Raum zu kleben, an denen ihr Blick immer wieder hängen bleibt (z.B. Fenster, Fernseher...). Diese Punkte erinnern sie immer wieder daran, mit der Aufmerksamkeit zur eigentlichen Aufgabe zurück zu kehren. Bei anderen hilft eine Veränderung der Arbeitsplatzgestaltung und -umgebung (Lautstärke, Ordnung...). Andere nutzen Entspannungsübungen oder andere Rituale, bevor sie mit der eigentlichen Arbeit beginnen. Wieder andere müssen nur abwarten, die Symptomatik verbessert sich zusehends je länger sie suchtmittelfrei leben (ich arbeite in der Suchtreha). Will sagen: "Konzentrationsstörungen" haben viele Gesichter und dementsprechend vielfältig kann auch die Behandlung aussehen.

Noch eine kleine Anekdote, die verdeutlicht, wie wichtig es ist, mit dem Patienten zu besprechen, wie genau sich die Einschränkungen bei ihm bemerkbar machen und welche Bedeutung sie für sein Leben haben:
Ich hatte vor kurzem einen Patienten, den mein Kollege aufnahm. Im Bericht stand dann "Der Patient leide unter Depressionen." Ich fragte meinen Kollegen, was das heißen solle. Denn aus diesem Satz ergeben sich leider keinerlei Anhaltspunkte für eine Behandlung, er sagt mir im Prinzip überhaupt nichts. Mein Kollege sah mich nur fragend an, ich zählte ein paar Beispiele auf, wie sich Depressionen äußern könnten. Er blieb jedoch dabei: "Ist ja wohl klar, was Depressionen sind."
Also unterhielt ich mich selbst mit dem Patienten. Das Ergebnis war folgendes:
Beruflich 16 Wochen am Stück auf Montage in bis zu 600km Entfernung vom Wohnort, erhöhter Suchtmittelkonsum am Abend in karger Monteursunterkunft, um Einsameitsgefühle und Langeweile zu bewältigen. Durch ungeregelte Überstunden 80 statt der vertraglich vorgesehenen 40 Stunden pro Woche, begünstigt durch ständige Verfügbarkeit (siehe Montage). Arbeitseinsätze immer in der Nähe von Bahnhöfen, daher ständige Verfügbarkeit von Suchtmitteln. Tägliche Arbeitsunterbrechung zur Suchtmittelbeschaffung und -konsum, unbemerkt von Arbeitgeber und Kollegen. Schlafstörungen durch die Depression, bis zu vier Nächte am Stück schlaflos. Starke Scham-, Angst- und Insuffizienzgefühle, Vermeidungsverhalten, welches diese Gefühle in der Folge noch verstärkt (lässt sich z.B. seit über einem Jahr arbeitsunfähig schreiben, damit der Arbeitgeber nicht merkt, dass er seinen Führerschein verloren hat). Vor kurzem Haus ausgebrannt und Tod zweier nahestehender Menschen (nicht im Zusammenhang mit dem Brand), der Patient ist obdachlos und lebt jetzt schon seit einigen Monaten in Notunterkünften.

Na, damit kann ich doch schon mehr anfangen. Langsam haben wir ein Vertrauensverhältnis aufgebaut und der Patient ist mittlerweile offen für ein Arbeitgebergespräch (welches er zunächst aus Scham und Angst vehement ablehnte). Wir haben herausgearbeitet, wie sein Arbeitsplatz aussehen müsste, damit er bessere Chancen hat, langfristig gesund zu bleiben. Das Ziel ist, zunächst im Arbeitgebergespräch das Versteckspiel zu beenden und dadurch Entlastung zu schaffen. Anschließend wird mit dem Arbeitgeber geschaut, ob und wie die Arbeit anders gestaltet werden kann (kürzere Montagezeiten oder auch Einsatz am Wohnort, Überstundenregelungen usw.). Der Sozialdienst kümmert sich mit dem Patienten um die entstandenen Schulden (Hausbrand, Patient war unterversichert) und um eine Wohnung. Die Mediziner haben Antidepressiva verschrieben, welche er regelmäßig nimmt und die gut anschlagen. Die Psychotherapeuten arbeiten in Form von Gruppen- und Einzeltherapie. Auch einfache Gespräche haben schon geholfen, zum Beispiel das Herausarbeiten seiner Ressourcen (welche der Patient selbst zuvor überhaupt nicht mehr sehen geschweige denn benennen konnte). Man merkt bereits eine deutliche Veränderung der Stimmung und des Verhaltens.

So viel als kleiner Exkurs. Worauf ich hinaus wollte: Wären wir bei "Er hat Depressionen" geblieben, hätten wir niemals Ansatzpunkte gefunden, wie die Behandlung konkret aussehen könnte. Versuche, zu hinterfragen, wenn dir Patienten so vage Angaben machen. Es lohnt sich wirklich, in die "Vorarbeit" Zeit und Mühe zu investieren.

Viel Erfolg und einen guten Wochenstart! Kinaa

Noch etwas, hatte ich fast vergessen: Cogpack sorgt (meiner Ansicht nach) in erster Linie dafür, dass der Patient "im Cogpacken" besser wird. Ob das Auswirkungen auf "die Konzentration im Allgemeinen" hat, wage ich zu bezweifeln. Ansichtssache, darüber lässt sich trefflich streiten. Nur noch so als Denkanstoß.
Nicht alles, was Hand und Fuß hat, hat auch Herz und Hirn.
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