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Verhaltesauffälliges Kind 6 J. ohne Deutsch Kenntnisse

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20. Juni 2015 15:23 # 1
Registriert seit: 20.06.2015
Beiträge: 6

Hallo liebe Mituser dieses Forums.::smile::
Ich möchte euch um euren Rat, bzw um gute Ideen zwecks Therapiegestaltung bitten.
Seit nun 6 Einheiten betreue ich ein junges Mädchen, nennen wir sie "Sama".
Rezeptdaten:
Indikationsschlüssel En1, ICD-10 :F89 Nicht näher bezeichnete Entwicklungsstörung

Sama ist vor ca. 1nem Jahr mit ihrer Familie nach Deutschland gezogen. Sama spricht kaum bis garnicht Deutsch. Ja und Nein beherrscht sie recht gut, auch die Farben kann Sama inzwischen gut benennen. Im häuslichen Umfeld wird kein Deutsch gesprochen. Auch Mutter und Vater, sowie jüngere Schwester beherrschen kein Deutsch. Im Anamnesegespräch bzw in der Aufnahmesituation ist eine mit der Familie befreundete Dolmetcherin mit dabei. Diese erzählt weiterhin von Verhaltensauffälligkeiten im häuslichen Umfeld. Sama habe ihre Eltern regelrecht im Griff: Wenn sie ihren Willen durchsetzen wolle, schreie sie so lange (auch: kratzt, haut) bis die Mutter einbreche. Die Mutter habe keine Handhabe und bittet mich also hiermit um Hilfe. Auf meine Frage wie der Vater auf diese Attacken/ Verhaltensweisen von Sama reagiere, lacht die Mutter verzweifelt und lässt mich verstehen das von dem Vater keine Hilfe zu erwarten sei. Noch in dem Aufnahmegespräch bitte ich die Mutter mir konkrete Situationen zu schildern, damit ich evtl. Erziehungsfehler verbessern kann, bzw. ihr und Samas Verhalten reflektieren kann. Da sie keine konkrete Situation parat hat, bitte ich sie in kurzen und knappen Sätzen ein Erziehungstagebuch zu führen, in denen Situationen die nicht handlebar erscheinen, erfasst werden sollen. Die Dolmetscherin wird von mir gebeten die Besuche so oft sie kann zu begleiten(...)
Ihr ahnt es bestimmt schon.....
Weder das Tagebuch wurde geführt, noch ist die Dolmetcherin weiterhin greifbar. (...)
In der Therapie fordert Sama zunächst das Beisein der Mutter ein und zieht diese regelrecht mit in die Therapie.
In gemeinsamen Spielen versucht Sama die Rolle des Spielleiters einzunehmen und sagt ihrer Mutter wann sie zu spielen hat und wann sie den Raum zu verlassen hat.
Weiterhin zeigt sie anfangs ein sehr einforderndes und oppositionelles Verhalten auch mir gegenüber. ( Sama schreit etwa sehr lautstark, und legt sich auf den Boden, begrüßt mich zu Anfang der Therapie nicht, verschränkt ihre Arme)
Dieses Verhalten hat sich zumindest in der Therapie etwas gelegt und Sama ist durchaus lenkbarer geworden, bzw zeigt sogar eine gesteigerte Motivationsleistung. Teilweise umarmt sie mich beim Abschied.
In der Abhol und Bringsituation erlebe ich dann noch ein Geschwistermädchen das Samas Verhalten weitestgehend modellhaft übernommen zu haben scheint. Übrig bleibt noch eine überforderte Mutter die kaum Ressourcen zu haben scheint mit den beiden klar zu kommen. Eine andere Mutter erzählte mir im Nachhinein das Samas Mutter "handgreiflich" gegenüber ihren Kindern geworden sei, als diese ihre Jacke nicht anzogen schubste sie diese, riess sie herum. (keine Verletzungsgefahr, aber ein sehr schroffer Umgang)

Meine Therapie beinhaltet im Moment den Einsatz von Spiel und den spielhaften Einsatz von Sprache ab. In gemeinsamen Spielsituation versuche ich der Mutter die Möglichkeit zu geben ihrem Kind gegenüber die Handhabe zu behalten und trotzdem liebevoll und spielerisch aktiv zu sein.
Ziele sind: Unterstützung beim Spracherwerb, Beratung des häuslichen Umfelds, Sama soll lernen Wünsche durch positive Verhaltensweisen zu äußern. Erlernung des 3 Punkt Griffs. Verringerung negativer Verhaltensweisen, evtl. Schulung des Regelverhaltens (auch vllt durch ein Regelplan, der für die ganze Familie gilt)
Durch die große sprachliche Barriere sehe ich aber kaum Möglichkeiten.

Vielleicht habt ihr ja gute ideen um meine Ziele zu erreichen?
Gibt es Maßnahmen durch das Jugendamt etwa die ich zuschalten kann?
Was fällt euch sonst noch ein?

Danke im Vorraus für eure Hilfe
16. Juli 2015 22:18 # 2
Registriert seit: 09.09.2013
Beiträge: 86

Hallo :)

ich muss gleich gestehen dass ich nicht im Bereich Pädiatrie tätig bin aber vielleicht kann ich dir ja doch ein paar Ideen geben.
Ist Sama denn im Kindergarten? Wenn ja bringt die Mutter sie dort regelmäßig hin? Der Kindergarten wäre natürlich für ihre Sprachkenntnisse von Vorteil, weil die Kinder nur Deutsch sprechen. Ihr Verhalten kann dort evtl. nicht durchgesetzt werden.
Hast du sie in der Therapie schon mal mit einem anderen Kind in Interaktion gehabt? Vielleicht ist sie dort anderst und ihre Motivation kann noch mehr gesteigert werden.Wenn sie deine Anweisungen nicht immer versteht kann sie es evtl. durch das andere Kind lernen.
15. August 2015 11:18 # 3
Registriert seit: 15.08.2015
Beiträge: 3

Hallo :)

ich denke mal Dein Beispiel ist mittlerweile fast Alltag bei uns in der Ergotherapie. Kennst Du das IntraActPlus Konzept? Ich selbst habe diese Fortbildung vor einiger Zeit gemacht, und muss sagen, es erleichtert mir meinen Praxisalltag enorm.
Zu Deiner Frage:

wichtig ist denke ich zu klären, ob Die Mutter konsequent sein kann/ist, in den Situationen, in denen ihr Kind "bestimmt". Das sollte der Mama erklärt werden, denn nur wenn sie erkennt, dass ihr Kind sich ihr gegenüber so verhält, kann sie anfangen daran zu arbeiten. Das Kind soll seine Verhaltensauffälligkeiten ja verlieren, und nicht weiter ausbauen....
Wenn die Mama keine Beispiele aus dem Alltag nennen kann, nimm doch mal das, was ihr in der Therapie macht mit der Mama zusammen auf Video auf, und mach mit ihr zusammen eine Videobesprechung ? Ich finde es immer sehr erleichternd mit Video zu arbeiten, da die Eltern deutlich schneller "sehen" was "falsch" läuft, bzw. man direkt am Bild besser erkennen lassen kann worum es geht, und mit welchem Verhalten der Mama zB das Verhalten der Tochter unterstützt wird, oder womit sie konsequenter sein kann.

Kannst Du denn den Papa nicht mit zur Therapie bekommen? Es bringt schon einiges, wenn die Mama intensiv mit Dir und ihrer Tochter arbeitet, aber effizienter und erfolgreicher wäre die Mitarbeit aller Bezugspersonen (Papa,Geschwister,Großeltern, besonders aber auch Erzieherinnen/Lehrer).

Es bringt dem Kind ja nichts dauerhaft, wenn sie bei dir in der Therapie lernt was Regeln bedeuten, bzw das Verhalten besser zu steuern, wenn es aber daheim, oder bei anderen Bezugspersonen nicht auch umgesetzt/gefordert wird.

In solch einem Beispiel wäre es also für dich auch einfacher, der Mama ganz klar vorzugeben, dass ihr zusammen arbeitet, und nicht du mit dem Kind und sich dann alles irgendwann austherapieren lässt, allein durch die Ergo die meist ja nur 1x pof Woche ist.

Ich hoffe ich konnte Dir etwas helfen, ansonsten frage einfach noch einmal nach ;)

Gruß Mahali
15. August 2015 11:49 # 4
Registriert seit: 01.04.2014
Beiträge: 599

Du sprichst von deinen Therapiezielen. Welche hat die Mutter und welche die Tochter? Wenn ich an CMOP und bio-psycho-soziales Modell denke, fällt mir als erstes auf, dass Du nichts über den kulturellen Hintergrund schreibst. Welcher Religion gehören sie an? Aus welchem Land kommen sie? Welche Stellung hat dort die Frau... Du schreibst, sie sind nach Deutschland gezogen, ist jetzt davon auszugehen, dass der Vater z.B. nach Deutschland versetzt wurde und hier für eine Firma, Botschaft etc. arbeitet oder sind es Flüchtlinge? Warum frage ich Dich das? Mein Therapieansatz wäre zu verstehen, warum sich das Kind so verhält und dann dort anzusetzen und je nachdem weiteres Fachpersonal zu zu schalten.
15. August 2015 15:11 # 5
Registriert seit: 15.03.2003
Beiträge: 944

Hallo Kollegen,
ihr denkt da viel zu deutsch....willsagen, andere Länder andere Sitten...auch in den Fragen der Erziehung.
Gruß Sabine

P.S. ich glaub der Zug ist schon fast abgefahren....
"Die Kunst ist, den Kindern alles, was sie tun oder lernen sollen, zum Spiel zu machen."
John Locke
23. August 2015 02:42 # 6
Registriert seit: 20.06.2015
Beiträge: 6

Hallo nochmals.
Dankel für das vielfältige Feedback,

Ich nutze in meiner Therapie mit dem Kind v.a. Regelspiele, aber auch kreative Medien/ einübung von kulturtechniken etc.
auch wünsche des Kindes werden natürlich in die Therapiegestaltung mit einbeziogem.
Positive Verstärker, Konsequenzen und etwaiges nutze ich bereits für mich, um dasVerhalten anzupassen...das klappt auch sehr gut bisher, das Kind kommt gerne zur Therapie und zeigt inzwischen eine gesteigerte Motivationsleistung und ein angepassteres Verhalten.
Die familäre Geschichte ist recht dramatisch...die Familie ist vor einem Jahr aus Syrien hier hin gezogen und sie haben in ihrer Heimat traumatische Erfahrungen machen müssen. der krieg im eigenen land zwang die mutter dazu sich in ihrer Behausung zu verstecken.(...)
Ich habe mich mit meiner Sorge und meinen Beobachtungen an den Kinderarzt gewandt.
Gemeinsam wurde der Einsatz einer SPFA vom Jugendamt besprochen. In meiner letzen einheit stellte ich der Mutter diese form der systemischen hilfe vor.
Diese reagierte sehr offen und dankbar. ::smile::
in zusammenarbeit mit dem jugendamt werde ich mich nun bemühen diese spfa fachkraft zu beantragen....vorraussetzung ist natürlich die beherrschung der arabischen Sprache..
....so der stand der dinge....
26. August 2015 11:49 # 7
Registriert seit: 11.07.2003
Beiträge: 326

Hallo,

es freut mich zu lesen, dass es scheinbar gut läuft!
Wir haben im letzten Jahr auch vermehrt Flüchtlinge aufgenommen. Die meisten dieser Kinder kommen zu uns in die Einrichtung, da sie traumatisiert sind, starke sozial-emotionale Probleme haben, keinerlei Umgang mit Material kennen, stark entwicklungsverzögert sind, das Sprechen verweigern und/oder starke Verletzungen (Unfälle) bzw. Behinderungen aufweisen. Innerhalb der heilpädagogischen Kleingruppe (8-10 Kinder) zeigen die Kinder eine sehr positive Entwicklung in allen Bereichen, die interprofessionelle therapeutische Versorgung unterstützt dies zusätzlich. Daher würde mich noch einmal interessieren, ob das von dir behandelte Mädchen in eine Kita geht? Ggf. bietet sich hier eine heilpädagogische Einrichtung an, auch für die Schwester. Oder wurde das Mädchen nun eingeschult?

Liebe Grüße und weiterhin eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Familie!
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