Geändert am 15.03.2016 22:41:00
Hallo lemongrass,
ich nehme an, dass du dich im 2 Ausbildungsjahr befindest. Da hast du sicher schon einiges über die Arbeitstherapie erfahren, aber noch nicht alles gelernt. Deshalb nachfolgend einige Anmerkungen:
Die Aufgabe der Ergotherapeuten im Berufsbildungsbereich ist es, eine klientenbezogene Fähigkeitsanalyse und eine Arbeitsplatzanalyse (angestrebter/erprobter Arbeitsplatz) zu erstellen, einen Profilabgleich vorzunehmen und daraus die arbeitstherapeutischen Interventionen abzuleiten und durchzuführen (Anpassung der Fähigkeiten des Klienten an den Arbeitsplatz durch Training, Anpassung des Arbeitsplatzes an den Klienten durch Adaptionen und/oder Hilfsmittel). Dieser Aufgabe folgend, sollten die Ziele auch dem Arbeitsauftrag entsprechen und sind bei diesem Vorgehen automatisch klientenzentriert.
Meist bleiben Klienten 2 Jahre im BBB. Im ersten Jahr zielen die Maßnahmen darauf ab, den Ist-Stand der Arbeitsfähigkeiten und die Interessen des Klienten zu analysieren und allgemeine Arbeitsfähigkeiten zu entwickeln (Ordnung, Pünktlichkeit, Handlungsplanung, instrumentelle Fähigkeiten, Konzentration, Ausdauer, ...) und im 2. Jahr sollte der Klient dann fit gemacht werden für einen bestimmten Arbeitsplatz in der WfbM. Es ist also wichtig, diesen geeigneten Arbeitsplatz gemeinsam mit ihm herauszufinden und ihm dann die für die Arbeitsaufgabe notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln (ggf. mit Adaptionen, Hilfsmitteln und Training).
Man muss seinen spezifischen Arbeitsauftrag als Ergotherapeut in der Arbeitstherapie kennen (siehe oben) und von anderen Möglichkeiten und Professionen abgrenzen. Es ist weder die Aufgabe des Ergotherapeuten Schule zu ersetzen, noch hat er die "Macht und Fähigkeit" eine bestehende geistige Behinderung zu beseitigen. Die Teilhabe des Klienten am Arbeitsleben ermöglichen trotz seiner geistigen und/oder anderen Defizite und unter Ausnutzung seiner Stärken - so lautet die Devise.
In diesem Sinne ist ein Memory-Spiel ein Beschäftigungsangebot (für Hobby und Freizeit) aber in einer Arbeitstherapie nicht zielführend. Ebenso eigenartig finde ich, dass du dir eine Zusage des Klienten zum Mitmachen holst (holen musst?). Das heißt ja, dass du ausschließlich für deine Sichtstunde Rahmenbedingungen schaffst, die es sonst so nicht im BBB gibt (Zuwendung, Aufmerksamkeit und Zeitaufwand für den Klienten betreffend, aber auch die Regeln und Normen im BBB betreffend - oder dürfen sich sonst die Klienten dir oder deinem Anleiter und euren Arbeitsaufträgen verweigern?). Auch sollte es völlig unerheblich sein, welche Anforderungen die Schule an die Arbeitstherapie in der WfbM hat. Der Klient ist Ausgangspunkt der Überlegungen, was therapeutisch gemacht werden muss und die WfbM gibt die Rahmenbedingungen dafür vor (Personalschlüssel, Arbeitsmöglichkeiten, Raum, Zeit,...). Was man in einer Sichtstunde unbedingt vermeiden sollte ist, realitätsferne Rahmenbedingungen zu schaffen, z. B. kann ein Arbeitnehmer am Ende eines Arbeitstages selten alle seine hergestellten Produkte einfach mit nach Hause nehmen. Warum sollte der Klient also gerade dieses Verhalten erlernen??? Warum sollte die WfbM das gestatten?
Was der Praxislehrer aus deiner Schule sehr wohl erwarten kann ist, dass du arbeitstherapeutische Befundinstrumente verwendest, dass du einen Profilabgleich vornimmst (Arbeitsplatz- und Fähigkeitsanalyse) und dass du daraus arbeitstherapeutische Maßnahmen für deinen Klienten ableitest und durchführst. (Also nicht irgendwelche Obstsalate zaubern, wenn das Beschleifen von Holz geübt werden muss; nicht Spiele machen, wenn es darum geht Ausdehnungen zu erfassen und das Messen zu üben, um im Arbeitsprozess an der Produktherstellung beteiligt sein zu können.)
Zu deinen Überlegungen:
Warum denkst du an ein "Projekt" mit Ton? (Begrifflichkeit beachten! Ein Projekt ist im soziologischen Sinne eine Arbeitsaufgabe für eine Gruppe, die in ihrer eigenen Verantwortung geplant und umgesetzt wird, also mit mind. 3 Leuten und in mind. 3 Einheiten). Du schreibst, dass der Klient auf "Größen und Breiten" achten sollte. (Begrifflichkeit beachten! Sicher meinst du: Höhe, Breite und Länge/Tiefe; also Ausdehnungen.) Allerdings könne er mit dem Lineal nicht umgehen.
Fragen, die sich aufdrängen: Wenn er ein Produkt aus Ton auf Maß herstellen soll, hat das dann irgendetwas mit den bei ihm notwendigerweise zu entwickelnden Arbeitsfähigkeiten zu tun (also letztlich mit deinem Arbeitsauftrag)? Ist die Arbeitsaufgabe also geeignet? In welcher Sozialform soll die Arbeitsaufgabe erfüllt werden? Wie kann der Klient etwas abmessen, ohne das Lineal zu verwenden? Sind Adaptionen möglich (Schablonen, zugeschnittene Maße aus Holz,...)? Was passiert anschließend mit dem Produkt? Wie reflektierst du mit dem Klienten, woran misst du die Zielerfüllung? Gibt es noch andere, ggf. arbeitsplatzbezogenere Möglichkeiten, die gleichen Ziele zu erreichen?
Zum Ausdruck:
"Defizite verbessern" - Damit machst du die Sache schlimmer!
Du solltest Defizite beheben, beseitigen, ausgleichen.
"Ergebnis ... was er auch mit nach Hause nehmen kann ... wodurch die Richt- und Feinziele erfüllt wurden." - Das Handeln des Klienten macht sichtbar, ob Ziele erfüllt wurden. Das Produkt (von dir als Ergebnis bezeichnet) und seine Entstehung sowie die Arbeitsaufgabe sind nur Mittel zum Zweck um Arbeitsfähigkeiten im Sinne deiner Zielsetzung beim Klienten zu entwickeln. Es kann theoretisch auch ein tolles Produkt entstehen, obwohl die Zielstellungen in keiner Weise erfüllt wurden. Das Produkt allein ist kein Nachweis für die Zielerreichung.
Ich hoffe, ich konnte dir ein paar Denkanstöße geben.
Gruß, Ergo 05