Hallo Tessa,
ich habe meine Ausbildung bis 1988 in der DDR gemacht und ergänze einfach mal die Fragen an Anna...
noch als Info:
In der DDR hatten wir den Zusatz Beschäftigungstherapie nicht, das Berufsgesetz der DDR wurde aber kurz vor der Wende geändert, so dass wir in den letzten Monaten der DDR schon Ergotherapeuten hießen, um dann nach der Wiedervereinigung zunächst zu Arbeits- und Beschäftigungstherapeuten und dann irgendwann wieder zu Ergotherapeuten zu werden.
1) Interessanterweise bin ich auch über eine Physiotherapeutin auf den Beruf aufmerksam geworden, nämlich meine Tante.
Er war im Prinzip unbekannt, wenn ich meinen Berufswunsch "Arbeitstherapeutin" äußerte, hörte ich nicht selten, ob ich Asoziale zum Arbeiten erziehen wollte. Das ist vor dem Hintergrund interesant, dass es offiziell Vollbeschäftigung gab und nicht arbeiten gesellschaftlich unerwünscht war.
2) Seit 1981 war der Beruf grundständig, dass heißt eine vollwertige Ausbildung nach der 10.Klasse an medizinischen Fachschulen. Die Ausbildung hatte offiziell den Status eines Studiums (vom Rang in der Studienlandschaft her vielleicht vergleichbar mit dem heutigen Bachelor). Für alle Studenten gab es in der DDR Stipendium. Bei mir waren es, glaube ich, 180 Ostmark. Bei guten Leistungen konnte man noch bis 80 Mark Leistungsstipendium zusätzlich bekommen.
zum Vergleich: Ich habe 40 Mark Miete gezahlt.
Mit der Wende war das natürlich vorbei.
Wichtig wäre zur Ausbildung noch, dass man sich nicht direkt an einer Schule bewerben konnte. Da es nur wenige Ausbildungsplätze gab und wir eine Planwirtschaft waren, wurden die Ausbildungsplätze an die Kliniken und sonstige Einrichtungen weitergegeben. Damit sollte gewährleistet werden, dass die Therapeuten nach Bedarf "gerecht verteilt" wurden. Man musste sich also bei der Einrichtung bewerben und wurde dann zur Ausbildung "delegiert". Dafür musste man sich nach der Ausbildung für mindestens 3 Jahre verpflichten, bei dieser Einrichtung zu arbeiten.
3) Zur Ausbildung in der BRD habe ich auch nie was gehört.
4) Die ergotherapeutischen Lerninhalte kamen im Wesentlichen von Mund zu Mund. Ich erinnere mich an einige schlecht gedruckte Broschüren und ein Büchlein zur Messung nach der Neutral-Null-Methode (das ich heute noch in der Praxis stehen habe
)
Für die allgemein medizinischen Fächer wie Anatomie und Physiologie etc hatten wir normale Fachbücher.
5) Die Messung nach der Neutral- Null Methode ist das einzige "standardisierte" Assessment, an das ich mich erinnern kann. Wir haben natürlich auch Befundung gelernt und dabei ein bestimmtes Vorgehen, aber das orientierte sich nicht an Modellen. Eher an der Weltanschauung, dass Arbeit ein wesentlicher Anteil des Lebens ist und deshalb jedem möglich gemacht werden sollte.
6) Wie Anna schon schrieb, hatte das Handwerk einen großen Anteil an der Ergotherapie. Die Techniken richteten sich auch danach, welche Material man bekam... Deswegen gab es zum Beispiel kein Korbflechten... Peddigrohr war nicht zu erhältlich. Da wir, wie gesagt, gelernt hatten, aus "Scheiße" Bonbon zu machen, waren die Techniken vielfältig.
Für meine erste Arbeitsstelle in einem Seniorenheim, wo ich eine Arbeitstherapieabteilung als "ein-Frau-Stelle" aufgebaut habe, bin ich z.B. in verschiedene Betriebe gefahren und habe Reste gesammelt (z.B. Leder, Stoffe, Schaumstoff).
Die in der Ergotherapie entstandenen Produkte hatten einen echten Wert und wurden oft mit gutem Erlös verkauft. Das erhöhte natürlich auch den Wert der Arbeit für die Klienten.
7) Werkzeug gehört für mich zur Bild der Ergotherapie aus dieser Zeit. z.B. eine Lochzange...
8) Nach der Wende waren für mich die neuen Möglichkeiten und Perspektiven im Beruf natürlich interessant... Ich habe in der Geriatrie gearbeitet und hatte in Berlin natürlich die Möglichkeit, unproblematisch mit "Westkollegen" in Kontakt zu kommen. Diese haben mich immer offen aufgenommen, hatten aber leider immer ein bisschen was "Belehrendes" und haben sich wenig für unsere Art der Ergotherapie interessiert...
Ansonsten waren die Fortbildungsmöglichkeiten für mich ein echter Zugewinn. Der Ergokongress 1990 in Berlin, zu dem wir Ossis vor der Währungsunion kostenlos kommen konnten, war echt beeindruckend.
Und dann änderte sich natürlich die finanzielle Situation deutlich. Gehälter und Mieten wurden 1:1 umgetauscht, aber die sonstigen Kosten stiegen stetig und auch die Mieten im Verlauf viel schneller als der Lohn. Diese Entwicklung hat bis heute Auswirkungen auf Gehälter und Kassensätze im Osten...
9) Ich kann mich nicht erinnern, dass es da richtige Weiterbildungsangebote gab. Allerdings hab ich vor der Wende nur ein Jahr gearbeitet. Es gab bei mir einmal einen offiziellen Erfahrungsaustausch zwischen unterschiedlichen Einrichtungen. Die Fortbildung fand eher im direkten Austausch mit Kollegen statt.
10) Da hat Anna schon alles aufgezählt.
11) Arbeitstherapie gab es in Kliniken, Seniorenheimen, Geschützten Werkstätten (heute Werkstatt für Menschen mit Behinderung) und sehr wenigen ambulanten Einrichtungen (z.B. Poliklinik der Bauarbeiter in Berlin). Einige Kliniken hatten ambulante Angebote. Die direkt in Verbindung mit einer Erkrankung stehenden Behandlungen wurden vom Arzt angeordnet und dann über sie Sozial- und Krankenversicherung finanziert. In Werkstätten und Heimen wurden die Ergos wie heute über den Träger bezahlt. Aber wie bei der Krankenversicherung kam auch hier am Ende alles aus dem gleichen Topf...
12) Die Behandlungsplanung und Durchführung war sehr vom Arbeitsfeld abhängig. In dem Seniorenheim, wo ich gearbeitet habe, habe ich nichts dokumentiert, außer Teilnahme.. Während des Praktikums in der Orthopädie/Chirurgie, war das ähnlich wie heute. In der Psychiatrie habe ich an meiner Stelle auch nichts gemacht und mich da aber geärgert, wie unspezifisch in dieser Abteilung gearbeitet wurde.
Soweit für heute. Es hat mit Spaß gemacht ein bisschen in Erinnerung zu schwelgen. Natürlich erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Allgemeingültigkeit.
LG Silke