Hallo Ihr da draußen,
Ich bin ebenfalls Praxisinhaber und habe mittlerweile 2 Standorte. Meine erste Praxis habe ich vor ca. 11 Jahren eröffnet.
Ich habe viele sehr schöne Erfahrungen mit meinen Mitarbeitern und Patienten machen dürfen. Aber leider auch extrem negative
Ich habe mich in diesen Jahren sehr entwickelt und leider nicht unbedingt so, wie ich es mir gewünscht hätte.
Leider haben wir zur Zeit ein großes Berufspolitisches Problem;
Wir alle (AG und AN) verdienen nicht das was wir verdienen.
Ich würde gerne meinen Mitarbeitern so viel mehr Gehalt zahlen, aber wir AG tragen so viel Verantwortung.
Wir müssen lernen, witschaftlich und gerecht zu Handeln. Es sollte für beide Seiten fair bleiben.
Unseren Mitarbeitern ist doch nicht geholfen, wenn wir AG ständig darüber nachdenken müssen, ob wir trotz so viel Eigeninitiative überhaupt die Gehälter, Miete, Versicherungen und die vielen Nebenkosten, die eine Praxis mit sich bringt auch erwirtschaften können. Ein guter AG muss so viel Kapital erwirtschaften, dass auch "schlechte Zeiten"
(Bsp.. Krankheit der Mitarbeiter, Urlaub, ect.) abgedeckt sind. Zu dem sollte er Geld zur Reserve für Renovierungen ect. ansparen können.
Natürlich trägt der AG das wirtschaftliche Risiko und sollte es nicht auf seine Mitarbeiter abwälzen.
Andererseits ist es der falsche Weg als AN die Vergütung der einzelnen Behandlungsmaßnahmen als Basis des Gehaltes zu nehmen :
Es wird oft vergessen, dass eine Praxis und Praxisorganisation auch Kosten verursacht;
das jede Verordnung noch weitere Arbeit bedeutet,
das jeder Arbeitnehmer für den Praxisinhaber Verwaltungszeit bedeutet,
das jeder €uro, der eingenommen oder ausgeben wird verwaltet werden muss,
das die Praxisräume arbeit bedeuten (Reinigung, Instandhaltung, Materialbeschaffung).
Es gibt so viele weitere "zeitfressende" Tätigkeiten, die der Arbeitgeber eigenständig erledigt oder jemanden dafür bezahlen muss.
"Selbst und Ständig" -
Ich bin oft in einer Person, Therapeut, Reinigungskraft, Maler, Handwerker, Anmelde- Bürokraft ect.
Mir macht mein Beruf seit ca. 15 Jahren Spaß und ich behandle unwahrscheinlich gern und kann mir keinen anderen Beruf vorstellen.
Aus diesen Grund finden die oben genannten Tätigkeiten oft bei mir zu Hause und in meiner "Freizeit" statt, damit ich auch Therapeut sein kann.
In den letzten 2 Jahren habe ich des öfteren darüber nachgedacht, ob die Selbständigkeit der richtige Weg für mich waren.
Ich kann es verstehen, wenn Praxisinhaber aufgeben möchten.
Ich war auch einmal an diesem Punkt und wünsche diese Erfahrung niemanden. Bei mir war es jedoch nicht die finanzielle Situation sondern eine negative Entwicklung die sehr schleichend begann und ich fast aufgegeben hätte.
Ich möchte gerne darüber berichten, vielleicht ist es ja hilfreich für den einen oder anderen......
Als erstes möchte ich erwähnen, das ich mich damals Selbständig gemacht habe, weil meine Arbeitsbedingungen grausig waren. Mit meinem Gehalt (1800€ bei 40std. Woche) zur damaligen Zeit war ich zufrieden. Wusste vor meiner Ausbildung, dass es nicht das Mega - Gehalt geben würde. Ich hatte in einem großen Therapiezentrum mit mehreren Niederlassungen gearbeitet - musste am Tag auch oft den Standort wechseln.
Mein damaliger Chef und Chefin kamen immer zwischen 10 - 14 Uhr ins Büro um sich um die Verwaltung zu kümmern. Alles Organisatorische, Reinigungsarbeiten etc. haben zum größten Teil die Therapeuten übernommen. Therapiematerialien waren auch stark in dieser Einrichtung überschätzt.
Der Chef sagte immer: "Physiotherapeuten arbeiten mit den Händen und Ergotherapeuten sind kreativ"
Man glaubt es nicht, aber ich habe dort 3 Jahre gearbeitet. Ich war naiv und habe gehofft, dass es besser wird.
Nein, leider wurden die Bedingen zum Schluss immer schlechter
(aus diesen Grund kann ich auch viele AN verstehen, die nicht in Praxen arbeiten möchten).
Mir waren meine Patienten jedoch sehr ans Herz gewachsen und ich habe meinen Beruf trotzdem geliebt.
Also habe ich mich selbständig gemacht.
Mein größtes Ziel war es, meine Arbeitsbedingungen und Therapiematerialien nach meinen Bedürfnissen abzustimmen. Ich wollte keine AN!!!
Dann ging es los - tolle Praxis mit viel Herzblut eingerichtet, gezielte Fortbildungen und Spezialisierungen gemacht.
Die Patienten waren sehr zufrieden und es sprach sich schnell herum, dass man gut in meiner Praxis aufgehoben ist und ich musste doch Mitarbeiter einstellen.
Ich hatte viel Glück und sehr tolle Mitarbeiter bekommen, die meine Praxisphilosophie mit mir teilten.
Also noch mehr Patienten - noch mehr Therapeuten und so weiter und so weiter.
Dann hatte ich keinen Platz mehr und ich dann kam die zweite Praxis -
Arbeit war so produktiv und wir haben so vielen Menschen helfen können. Das macht so viel Spaß.
Jedoch habe ich nicht gelernt nein zu sagen. Ich konnte es nicht übers Herz bringen, Patienten abzusagen.
Aber ab einem Punkt gab es diesen Mitarbeitermangel.
Ich hatte immer Hoffnung, dass es sich legt und habe weiterhin Patienten angenommen und im Schnitt 60 Std. pro Woche am Patienten gearbeitet (ohne Pause)......Alle anderen Tätigkeiten noch on Top.
(ohne es zu übertreiben; arbeiten, essen, schlafen, arbeiten, natürlich auch am Wochenende)
Wir wissen ja alle, dass so etwas nicht lange gut geht.
Ich habe es selber gemerkt und meinen größten Fehler gemacht.
Ich habe Therapeuten eingestellt, obwohl ich ein ein ungutes Bauchgefühl hatte. Zu viele Zugeständnisse gemacht bezüglich Gehalt, Urlaub, Sonderleistungen etc.
Leider waren es Therapeuten, die sich sehr über meine guten Arbeitsbedingungen gefreut haben aber leider keine Lust hatte gute Arbeit zu leisten.
Ich war leider noch so erschöpft, dass ich es nicht sehen wollte und musste erstmal meine Reserven auffüllen.
Auch Praxisinhaber sind keine Maschinen :-(
Da die "neuen" kaum Berührungspunkte mit den langjährigen Therapeuten hatten (unterschiedliche Praxen und wenig Interesse an Teambuilding von den "neuen Therapeuten"), haben meine "alten" Mitarbeiter nur mitbekommen, dass es mir nicht gut geht aber nicht den Grund dafür.
Ich wurde immer unzufriedener und bekam Bauchschmerzen in meiner eigenen Praxis. (konnte es damals erst einmal nicht einordnen). Ich habe mit den "Neuen" in einer Praxis weiterhin 40std/Woche Therapieeinheiten absolviert,
jedoch hatte sich etwas geändert: meine Pläne waren voll ausgefüllt und die Pläne der Mitarbeiter wurden leerer und leerer. Neuanmeldungen haben speziell nach mir verlangt.
Ich habe Gründe gesucht und dann vermehrt versucht, die Therapeuten zu schulen, noch mehr zusätzliche Motivation geboten, noch mehr Leistungen gegeben.....
Am Ende des Jahres wurde ich von meinem Steuerberater gefragt, in welcher Praxis ich gearbeitet hätte.
Als ich ihm sagte Vollzeit in der Zweigstelle, sah er mich entsetzt an und sagte, dann haben sie ja völlig umsonst gearbeitet. Die Praxis trägt sich mit den Mitarbeiterkosten so gar nicht.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits alle dort tätigen Mitarbeiter gekündigt und wieder von 07:00 bis 21:00 (Mo- Freitag ohne Pause) Patienten behandelt. Es war sehr hart, aber ich hatte keine Bauchschmerzen mehr.
Ich habe damals meine Patienten mit ins Boot geholt und viel Unterstützung erhalten.
Mein Mann hatte kurz vorher seine Arbeit gekündigt, da er merkte, ich brauche Unterstützung und ist seit dem Vollzeit für die Personal- Finanz- und alle anderen vielen Büro- Nebentätigkeiten zuständig.
Ich konnte wieder das machen, was mir am meisten Spaß macht! Behandeln
Meine Mitarbeiter aus der Hauptstelle sind ebenfalls mit eingesprungen, obwohl sie schon voll ausgelastet waren.
(Vielen Dank an mein bestes Team
)
Die Alternative war damals zu schließen, aber ich wollte nicht aufgeben.
Seit Sommer letzten Jahres habe ich wieder ein neues Team, ich habe mir viel Zeit bei der Suche genommen und würde mich nicht mehr auf Kompromisse einlassen. Unsere Pläne sind wieder voll und total ausgelastet. Trotzdem wird es erstmal keine neuen Mitarbeiter geben.
Ich bespreche die Situation sehr offen mit meinen Mitarbeitern und erhalte viel positives feedback.
Ich achte darauf, dass ich nicht mehr über 50 Stunden pro Woche arbeite, mindestens 30 - 60 Minuten Pause pro Tag mache und erinnere mich regelmäßig daran, warum ich mich selbständig gemacht habe und es niemanden hilft, wenn ich zusammenklappe oder schließen müsste, weil ich mich völlig überfordere.
Wir behalten unsere Spezialisierung bei, haben Kontakt zu anderen Praxen und geben Visitenkarten von anderen Praxen heraus. Natürlich gibt es auch eine sehr lange Warteliste.
Es darf doch nicht geschehen, dass Praxen schließen, weil sie Ihre Praxen nicht halten können, egal aus welchen Grund. Das ist doch der falsche Weg.
Meine jetzigen Mitarbeiter haben übrigens den Weg zu uns gefunden, da wir Kooperationsverträge mit Ergoschulen haben, wir dadurch regelmäßig Schüler nehmen und Ihnen zeigen wie toll die Arbeit in der Praxis sein kann. es bedeutet für uns erstmal sehr viel mehr Arbeit. Dafür lernt man in der Zeit auch den Menschen kennen und weiß, ob er in die Praxis passt. Es gibt weniger böse Überraschungen.
Wir verbringen so viel Zeit auf der Arbeit, da sollte man gerne hingehen und sich bestenfalls wie zu Hause fühlen.
Viel zu viel Text.
Ich hoffe, ich habe euch nicht zu sehr gelangweilt und zu stark ausgeholt.
Ich habe gelernt,dass man nicht einfach Mitarbeiter einstellen und sich auf alles einlassen sollte, nur weil man es allen gerecht machen möchte. Das ist der falsche Weg. Lieber Patienten vertrösten, auch wenn es schwer fällt.
Nur ein zufriedener Chef, kann ein guter Chef sein.
Liebe Grüße
Anke