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Würzburger Aphasietage 2005

Kopf hoch, auch wenn der Hals dreckig ist

Würzburger Aphasietage 2005

Zum achten mal haben der Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e.V. (BRA) und das Aphasikerzentrum Unterfranken ihre Würzburger Aphasie-Tage in den Räumen der Fachhochschule veranstaltet. Aphasie ist eine erworbene Störung der Sprache nach Beeinträchtigung des Gehirns, beispielsweise nach dem Schlaganfall.
In zahlreichen Vorträgen und Workshops rund um das Thema Aphasie und Rehabilitation konnten sich im dreitägigen Kongress ab dem 24. Februar Betroffene und deren Angehörige, Therapeuten, Ärzte und Interessierte fortbilden und austauschen. In über 40 Workshops und Vorträgen wurden aktuelle Aspekte zum Thema Aphasie angeboten.

Dr. Dieter Gekle, Vorsitzender der Gesellschaft für Aphasie Unterfranken hielt seine Eröffnungsrede im vollbesetzten Vorlesungssaal. Über 500 Teilnehmer aus der gesamten Republik und dem Ausland seien angemeldet, so Gekle. Schwerpunkt der diesjährigen Tagung ist das Thema „Störungen von Sprache und Sprechen nach Hirnverletzungen“. Neben dem Schlaganfall kann Aphasie auch durch eine Schädel-Hirn-Verletzung verursacht werden.
Als Hauptredner kam deshalb auch Achim Ebert, Geschäftsführer der ZNS-Hannelore Kohl Stiftung zu Wort. Die Hilfsorganisation, die 1983 von der Namensgeberin gegründet wurde, setzt sich für Verletzte mit Schäden des Zentralen Nervensystems ein. „In Deutschland diagnostizieren die Ärzte jährlich bei 100.000 Unfallopfern ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Jedes 5. Unfallopfer hiervon ist ein Kind unter 15 Jahren. Eine erschreckend hohe Zahl, die mich als Vater von 2 Kindern immer wieder erschüttert“, so Ebert. Hauptursache kindlicher Aphasie sei das Schädel-Hirn-Trauma. Die Unfallzahlen machten eine enge Zusammenarbeit zwischen der ZNS-Hannelore Kohl Stiftung und dem BRA nötig. Ziel sei es, sich auch der Gruppe von Kindern anzunehmen, bei der die Sprachentwicklung noch nicht vollständig stattgefunden habe.

Prof. Dr. Erika Schuchardt, seit 1994 Mitglied des Bundestages, erörterte das Thema „Warum gerade ich? Leben lernen in Krisen“. Die Professorin für Bildungsforschung und Erwachsenenbildung mit dem Schwerpunkt Krisenmanagement an der Universität Hannover schrieb zahlreiche mit Preisen ausgezeichnete Bücher.
Die Autorin verstand es in ihrem Vortrag einfühlsam eine Brücke vom persönlichen Umgang mit Behinderung hin zu einem allgemeinen Zugang zu Krisen und Lebenskrisen zu schlagen. Schuchardt betont die Möglichkeit, dass jegliche Form der Krise als Chance und sogar als verborgener Reichtum betrachtet werden könne. Diesen Lernprozess, den Krisenverarbeitung biete, erschließt Schuchardt aus über 2000 Lebensgeschichten der Weltliteratur von 1900 bis zur Gegenwart.

Die deutsche Aphasie-Selbsthilfebewegung wird heute von mehr als 230 Selbsthilfegruppen getragen. Koordiniert und unterstützt werden diese von den „Aphasiezentren“. Für Aphasiker und deren Angehörige sind sie Anlaufstelle vor Ort und bieten Hilfe und Orientierung in ihrer schwierigen Lebenslage. Die Aufgaben dieser Zentren wurden in der diesjährigen Talkrunde zum Thema gemacht.
Sieghardt Szusdziara (61) aus Berlin erlitt vor drei Jahren einen Schlaganfall mit zweiwöchigem Koma. Eine Aphasie zeigte sich in Folge. „Erstes tragfähiges Netz war meine Familie“, sagt Szusdziara rückblickend - seine Sprachstörung ist heute fast nicht mehr zu bemerken. „Schon bald nach dem Schlaganfall stellten sich mir grundlegende Fragen: Was ist nach dem Schlaganfall möglich? Und was mit Aphasie? Wo finde ich Hilfe? Wie geht es weiter?“ Szusdziara wandte sich damals an das Aphasie-Zentrum Vechta in Niedersachsen. Hier wurden er und seine Familie therapeutisch und psychosozial versorgt und fand Kontakt zu anderen Menschen mit ähnlichem Schicksal.
Heute ist Szusdziara 2. Vorsitzender des Aphasie-Landesverbandes Berlin, dessen Aphasie-Zentrum im letzten Jahr gegründet wurde. Leiterin und Linguistin Ulrike Burg bezeichnet Ihr Zentrum als „Anlaufstelle, die besonders dann wichtig wird, wenn die Krankenhaustüre hinter dem Aphasiker zufällt“. Gerade dann sei die Gefahr groß, dass Aphasiker vor dem Nichts stünden, so Burg.
Derzeit gibt es unter dem Dach des BRA bundesweit 16 Zentren, die eine flächendeckende Versorgung für aphasische Menschen ermöglichen.
In Würzburg bietet das Aphasiker-Zentrum Unterfranken diese Hilfen an. Weitere Informationen erhalten Sie beim Bundesverband Aphasie (Adresse siehe unten).
Die Kooperationsverträge zwischen den Zentren und BRA wurden vom 1. Bundesvorsitzenden Heinz Terstegen sowie Bundesgeschäftsführer Christoph Petschenka feierlich an die Vertreter überreicht.

Die Podiumsdiskussion ist fester Bestandteil und weiterer Höhepunkt der Aphasie-Tage. Betroffene Aphasiker erzählten diesmal ihre Geschichten zum Thema „Sprache und Sprechen nach Hirnverletzungen“. Einfühlsam moderiert von Prof. Dr. Walter Huber, Leiter der Neurolinguistik am Universitätsklinikum Aachen, spricht auch Reinhold Richter aus Hummeltal/Fränkische Schweiz über sein Schicksal. Der ehemalige OP-Pfleger erlitt vor 7 Jahren ein Hirn-Trauma während einer Operation. Ein Röntgengerät stürzte auf seinen Kopf. „Ich habe das erst gar nicht ernst genommen, doch schon am nächsten Tag war mir ganz schwummrig“, erzählt Richter, dessen Hausarzt eine einfache Grippe diagnostizierte. „An die Zeit danach kann ich mich nicht erinnern und ich habe nur mit Glück überlebt“. Richter fand sich kurze Zeit später im Koma auf der Intensivstation des Krankenhauses wieder, in dem er jahrelang selbst anderen Menschen geholfen hat. In eineinhalb jähriger Rehabilitation musste Richter wieder Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Seine Frau habe ihn verlassen, erzählte Richter: „Sie hat sich vermutlich überfordert gefühlt“. Der ehemalige Pfleger spricht heute in fast unauffälliger Sprache - nur mit den Zahlen habe er große Schwierigkeiten. Kraft haben ihm seine beiden Töchter gegeben, meint Richter mit etwas Stolz: „Meine zwei Kinder haben mich immer unterstützt und aufgebaut. Sie haben sogar Zeitungsannoncen geschrieben, damit ich eine neue Frau finde.“ Der Einsatz hat gelohnt: Richter lebt nach Jahren der Krise heute in glücklichen privaten Verhältnissen und wirkt sichtlich ausgeglichen. „All das hat mir geholfen, diese Situation zu überstehen“. Anderen Betroffenen gibt Richter seinen persönlichen Rat mit auf den Weg: „Kopf hoch, auch wenn der Hals dreckig ist“.


Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e.V.
Wenzelstraße 19
97084 Würzburg
Tel: 0931 / 25 01 30 - 0
Fax: 0931 / 24 01 30 - 39


Aphasiker-Zentrum Unterfranken gGmbH
Robert-Koch-Straße 36
97080 Würzburg
Tel: 0931 / 29 97 5 - 0
Fax: 0931 / 29 97 52 - 9
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