Der Schlaganfall zählt mittlerweile zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland. Bei vielen Betroffenen bleiben oft schwere Folgeschäden
zurück. Einige Patienten können zum Beispiel eine Körperhälfte nicht mehr wahrnehmen und haben auf dieser Seite auch Probleme beim Sehen,
Hören oder Fühlen. Zudem können einige ihren Gesundheitszustand nicht richtig einschätzen und verleugnen ihn sogar. Bislang gab es für
Betroffene kaum erfolgversprechende Therapien. Psychologen der Saar-Uni um Professor Georg Kerkhoff haben nun ein Verfahren
entwickelt, das Patienten hilft Geräusche und Bilder wieder wahrzunehmen.
Bei einem Schlaganfall können wichtige Teile des Gehirns für immer geschädigt werden. In der Folge sind viele Betroffene ein Leben
lang auf Hilfe angewiesen. „Oft kommt es vor, dass Patienten eine Körperseite vernachlässigen. Diese Störung, der sogenannte Neglect,
kann dazu führen, dass sie etwa Personen, Bilder oder Geräusche auf dieser Seite nicht mehr richtig wahrnehmen“, erklärt Professor
Georg Kerkhoff von der Klinischen Neuropsychologie an der Saar-Uni. „Diese Phänomene treten insbesondere auf, wenn die rechte Gehirnhälfte
geschädigt ist. Hierbei ist dann die linke Körperseite betroffen.“ Hinzu komme noch, dass diese Patienten ihre gesundheitliche Situation
oft nicht richtig einschätzen können und sie sogar leugnen. Experten sprechen hierbei von der sogenannten Unawareness. „Dies verschlechtert
zum einen die Heilungschancen und macht zum anderen eine Behandlung schwierig“, so der Forscher weiter. „Eine wirksame Therapie für diese
Patienten-Gruppe gibt es bislang nur ansatzweise.“
Optokinetische Stimulationstherapie veranlasst Patienten zur Wahrnehmung der vernachlässigten Körperseite
Die Saarbrücker Psychologen haben ein Therapieverfahren entwickelt, das sie in zwei Studien getestet haben. Bei der sogenannten
Optokinetischen Stimulationstherapie (OKS) zeigen die Wissenschaftler den Patienten Punktewolken in verschiedenen Farben auf einem Bildschirm.
Dabei wandern diese mit gleichbleibender Geschwindigkeit horizontal von der einen Seite des Bildschirms auf die andere. Der Proband muss die
Bewegung der Punkte ausschließlich mit seinen Augen verfolgen, wobei darauf Rücksicht genommen wird, welche Körperseite des Patienten
beeinträchtigt ist. „Ist die linke Seite betroffen wandert das Symbol auf dem Bildschirm von rechts nach links“, erklärt der Professor.
Das heißt, die Symbole bewegen sich von der gesunden Körperseite zur vernachlässigten. „Dadurch ist der Proband in gewisser Hinsicht
gezwungen, seine vernachlässigte Seite wahrzunehmen“, ergänzt Kerkhoff. Ist das Symbol am Rand des Bildschirms angekommen, muss der
Patient wieder zum Ausgangspunkt zurückschauen und die Übung beginnt von vorne. Durchgeführt wurden die Übungen mit dem Programm EyeMove.
Studie prüft Effizienz im direkten Vergleich zum Visuellen Explorationstraining
Um zu überprüfen, wie effizient die Methode ist, haben die Forscher das Verfahren mit dem sogenannten Visuellen Explorationstraining (VET),
dem bislang vorrangig angewendeten Therapieverfahren für Patienten mit Neglect, in einer randomisiert-kontrollierten Studie mit 50
Teilnehmern verglichen. Dabei erhielten die beiden Behandlungsgruppen 1 x werktäglich 50 Minuten die Therapie. Jede Therapiesitzung
bestand aus vier Durchläufen á 10 Minuten mit dazwischenliegenden zweiminütigen Pausen.
„Bisher haben Patienten bei Therapien wie dem VET nur starre Muster zu sehen bekommen“, erklärt Kerkhoff. „In der Regel können sie aber
besser Bewegungen wahrnehmen.“ Denn hierbei werden bei den Schlaganfall-Patienten Hirnregionen aktiviert, die dafür sorgen, dass überhaupt
eine Blickbewegung erfolgt und dass die Aufmerksamkeit auf die vernachlässigt Körperseite gerichtet wird.
Die Studie zeigt: Bereits nach fünf OKS-Sitzungen konnte der visuelle sowie der akustische Neglect verbessert werden.
Die Teilnehmer nahmen Geräusche und Bilder auf der vernachlässigten Seite wieder besser wahr. Dieser Effekt hielt auch bei den
Nachuntersuchungen an. Bei VET verbesserten sich die Symptome in diesem Zeitraum hingegen nicht.
Weitere positive Effekte der Optokinetischen Stimulationstherapie
In einer weiteren Studie konnten die Wissenschaftler sogar zeigen, dass OKS nicht nur die Sinne schult, sondern auch hilft,
mit alltäglichen Problemen, wie etwa dem Finden von Gegenständen oder der Orientierung, klarzukommen. Darüber hinaus konnten die Patienten
ihren Gesundheitszustand nach der Therapie auch besser einschätzen und haben ihn nicht mehr verleugnet.
In dieser zweiten Studie mit 24 Teilnehmern wurde wieder die Optokinetische Stimulationstherapie mit dem visuellen Explorationstraining verglichen.
Es fanden 20 Therapiesitzungen á 30 Minuten über insgesamt vier Wochen statt. Ein Nachtest wurde zwei Wochen nach Therapieende durchgeführt.
„Als Alltagsmaße haben wir dabei den Barthel-Index, einen funktionalen Neglect-Wert (basierend u.a. auf der Blickorientierung der Patienten
sowie ihrer visuellen Suchleistung), sowie ein Fremdrating zur Anosognosie der Patienten im Alltag, bewertet durch der Pflegekräfte,
verwendet“, so Kerkhoff.
Eine wirkungsvolle Behandlungsmethode mit früher Einsatzmöglichkeit in der Rehabilitation
Mit Ihrer Studie belegten die Forscher zum ersten Mal auch einen therapeutischen Effekt auf den akustischen Neglect.
„OKS stellt eine sehr wirkungsvolle Behandlungsmethode dar“, fasst Kerkhoff die Ergebnisse der Studien zusammen.
„Sie beschleunigt die Erholung und kann schon früh in der Rehabilitation zum Einsatz kommen, insbesondere bei Patienten mit ausgeprägter
Unawareness.“
Quelle:
Universität des Saarlandes