Kinder haben später weniger Aufmerksamkeitsprobleme, wenn sie schon früh ein gutes Verständnis ihrer eigenen und der Emotionen anderer entwickeln.
Eine Studie der Leuphana Universität Lüneburg und der George Mason University (USA) belegt nun den Einfluss
emotionaler Kompetenz auf die Aufmerksamkeitsentwicklung bei Vorschulkindern.
Die Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Maria von Salisch hat die Untersuchung geleitet.
Foto: © Petro Feketa
Im Rahmen ihrer Studie zur Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenzen befragten die Wissenschaftlerinnen 261 Kinder,
deren Eltern sowie und Erzieherinnen aus 33 Kindergärten in Niedersachsen. Das durchschnittliche
Alter der Kinder lag in der ersten von zwei Untersuchungsphasen bei fünf Jahren.
14 Monate später wurde die Befragung wiederholt. Getestet wurden das Emotionsverständnis, die behavioriale
Selbstregulation, die komplexe Gedächtnisspanne und das rezeptive Sprachverständnis. Der soziodemographische Hintergrund und das Geschlecht der
Kinder wurden ebenfalls berücksichtigt.
Die Frage, welche Faktoren es Kindergartenkindern erleichtern oder erschweren zu lernen, ihre
Aufmerksamkeit zu steuern, stand im Mittelpunkt der Untersuchung.
Dabei spielt das sogenannte Emotionswissen eine entscheidende Rolle. Es bezeichnet die Fähigkeit, Emotionen bei sich
und den Mitmenschen zu erkennen, mit Worten zu benennen und das eigene emotionale Ausdrucksverhalten zu steuern.
Die Studie zeigt, dass Kinder,
die zum Zeitpunkt der ersten Befragung über ein umfangreiches Emotionswissen verfügten, ein gutes Jahr später weniger Schwierigkeiten mit ihrer
Aufmerksamkeitssteuerung hatten, als Kinder mit einem anfangs niedrigen Emotionswissen.
Die Aufmerksamkeitsprobleme von Kindern mit großem Emotionswissen verringern sich im Zeitablauf sogar überdurchschnittlich.
Dieses Ergebnis hat
auch dann Bestand, wenn die Einflussfaktoren Geschlecht, Sprachverständnis und Sozialschicht in die Bewertung mit einbezogen werden.
„Das eigene Erleben und Verhalten und das Verhalten anderer Menschen wird mit fortschreitendem Emotionsverständnis vorhersagbarer.
Das bindet weniger Aufmerksamkeit und begünstigt prosoziales Verhalten“, erklärt Professor von Salisch den Befund.
„Kinder mit beschränktem Emotionswissen erscheinen hingegen oft abgelenkt. Ihre Aufmerksamkeit wird davon in Anspruch genommen, sich ihre eigenen
Gefühlszustände oder negative Emotionen anderer zu erklären und die eigenen daraus entstehenden Emotionen zu regulieren.“
Die Studie erweitert den bisherigen Forschungsstand zur Entstehung von Aufmerksamkeitsproblemen bei Kindern.
„Die bislang gängige Annahme in der Forschung ist, dass vor allem ein Defizit bei den exekutiven Funktionen (EF) ausschlaggebend für die
Entstehung von ADHS ist“, so von Salisch.
Diese Funktionen entwickeln sich im Vorschulalter in schnellem Tempo und umfassen – unter anderem – die willentliche Steuerung der Aufmerksamkeit,
das Arbeitsgedächtnis und Fähigkeiten zur Unterdrückung kognitiver und motorischer Impulse. „Mit unserer Studie haben wir nun nachweisen können,
dass neben den EF eben auch das Emotionswissen ein entscheidender erklärender Faktor für die Entstehung von Aufmerksamkeitsproblemen ist“,
so die Wissenschaftlerin.
In zukünftigen Studien soll das Emotionswissen daher noch stärker als bisher in den Fokus rücken.
Die Ergebnisse stammen aus dem vom Niedersächsischen Forschungsverbund für Bildung und Entwicklung und von der Deutschen Liga für das Kind in
Familie und Gesellschaft geförderten Forschungsprojekt „Elefant – Emotionales Lernen ist fantastisch“.
Weiter Informationen
von Salisch, Maria; Hänel, Martha; Denham, Susanne A. (2015). Emotionswissen, exekutive Funktionen und Veränderungen bei Aufmerksamkeitsproblemen
von Vorschulkindern, in: Kindheit und Entwicklung 24 (2), 78-85.
Quelle:
Leuphana Universität Lüneburg