Hallo zusammen,
ich kann Karstens Aussagen gut nachvollziehen.
Zu erkennen, wann und welche Unterstützung gebraucht wird, ist eine wichtige therapeutische Eigenschaft/Fähigkeit, Abgrenzung und Selbstfürsorge aber ebenso.
Ich betrachte mich nicht als Therapeut meiner Kollegen (oder hier: Mitschüler), schließlich betrachte ich sie ja auch nicht als meine Patienten. Während die Zusammenarbeit mit meinen Patienten bis auf die Compliance nicht an Voraussetzungen geknüpft ist, ist es die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen sehr wohl. Oder kurz: Von Patienten erwarte ich nix, von Kollegen schon.
Hier war die Rede davon, dass die anderen "nichts zum Thema machen". Wenn ein Kollege etwas nicht kann, ihm Kenntnisse, Fähigkeiten oder Talente fehlen, er aber bemüht ist, ist das die eine Sache. Dann kann ich helfen. Wenn er aber "nichts macht", ist das sein Problem. Das interpretiere ich nicht als "Schwächere auf der Strecke [zu] lassen, um selbst besser dazustehen", sondern als "seine wertvolle Ausbildungszeit nutzen, um auch zu seinem Recht auf Wissens- und Fähigkeitenerwerb zu kommen".
Während der Fokus oft ausschließlich auf die "Schwachen" gelegt wird, fallen die Stärkeren mit ihren Bedürfnissen oft hinten runter, weil sie allzu schnell als "unsozial" abgestempelt werden. Schon meine Grundschulzeit begann so. Ich war schnell, konnte schon viel - und fühlte mich permanent dafür bestraft. Weil ich mich langweilen musste, indem ich gefühlte Ewigkeiten auf die anderen warten musste, ohne eine Aufgabe zu bekommen. Weil ich, obwohl ich gut im Kopfrechnen war, richtige Ergebnisse noch mal mit Steckwürfeln stecken musste, weil das schließlich alle taten. Weil ich - das erkennt man später - für meine Lehrer unbequem und anstrengend war.
In der Schul- und Ausbildungszeit ging das weiter: Gruppenarbeiten, bei denen eine schlechtere Note hingenommen wurde, weil sich permanent am Gruppenschwächsten orientiert werden sollte, Unterricht, dessen Niveau sich an den Leistungsschwächsten orientierte, sodass die Leistungsstarken nicht profitierten usw.
Und auch aus der Berufstätigkeit kenne ich das nur zu gut: Ewig lange Teamsitzungen oder Qualitätszirkel, in denen irgendwas besprochen und erarbeitet wird, bis es auch der Langsamste verstanden hat. Viel Arbeitszeit und Nerven, die dafür draufgehen, den anderen etwas beizubringen, die dich dafür nicht "nett, sozial(!) und hilfsbereit" finden, sondern zu deren Feindbild du als "Primus inter pares" wirst usw. usf... Resultat: Boykott statt Kooperation. Bis der Stärkere krank wird, nicht etwa der Schwächere. Weil er sich nicht abgrenzen konnte und das Umfeld es auch nicht zugelassen hat (denn Abgrenzung ist ja unsozial!). So kann's eben auch laufen.
Also: Ich denke, es ist sinnvoll, das alles etwas differenzierter zu sehen und nicht nur die Position der "Schwächeren", sondern auch die der "Stärkeren" zu verstehen und zu berücksichtigen.
Allen ein schönes Wochenende! Kinaa
Nicht alles, was Hand und Fuß hat, hat auch Herz und Hirn.