Diskussionsforum
Sind wir zur ewigen Beschäftigung verdammt?
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Hallo ihr Lieben! Bei mir beginnt demnächst wieder einmal die Jobsuche Da ich die Arbeit mit psychisch Erkrankten sehr schätze, werde ich hier auch wieder meinen Schwerpunkt legen. Zur Zeit arbeite ich in einer Berliner Psychiatrie. Bei meinem jetzigen Arbeitgeber und auch in der Vergangenheit, bin ich jedoch immer wieder auf Einrichtungen gestoßen, die den ergotherapeutischen Fokus ausschließlich auf die Beschäftigung, sowie auf freie handwerklich Angebote legen. Weit weg vom COPM! Da ist das gestalterische Angebot teilweise so groß, jede Volkshochschule wäre über solch ein Angebot entzückt und die Ergotherapeutin wird zur Bastelanleiterin! Bitte entschuldigt meine kritischen Worte Ich hoffe, ich konnte mein Anliegen anschaulich verdeutlichen und ich freue mich auf eure kritischen Beiträge und Kommentare! Was sind denn eure Erfahrungen? Habt ihr nützliche Tipps, wie ich bei meiner Jobsuche Einrichtungen finde, die ein moderneres Therapeutisches Konzept verfolgen? lg Tine-Line123
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Hallo Tine-Line, in allen Einrichtungen mit einem moderneren therapeutischen Konzept hat irgendwann mal jemand angefangen das zu erarbeiten und einzuführen. Ganz sicher nicht der bequemste Weg - aber letztlich unumgänglich, wenn man sich eine andere Ergotherapie und eine berufliche Zukunft jenseits des Basteltanten-Images wünscht. Es ändert sich ganz sicher nur was zu unseren Gunsten, wenn wir was dafür tun! Kurz: du bist nur dann zur "ewigen Beschäftigung verdammt" wenn Du nichts dagegen unternimmst. Gruß nimis
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Hallo Tine-Line123, ich schließe mich nimis an: Es gilt, die Komfortzone zu verlassen und selbst etwas zu verändern, anstatt sich zu ärgern und darauf zu warten, dass ein anderer kommt und den fertig gebackenen, optimalen Arbeitsplatz präsentiert. Als ich an meinem jetzigen Arbeitsplatz zu arbeiten begann, das war vor sieben Jahren, waren Ergotherapeuten dort eine Mischung aus Basteltanten und Hausmeistern. Sie beklagten und beschwerten sich (seit Jahren!) über fehlende Anerkennung, geringen Status und Einfluss usw... und machten dennoch so weiter wie zuvor. Über die Zeit habe ich sehr viele Konzepte geschrieben und umgesetzt und mir einen Arbeitsbereich ganz nach meinen fachlichen Vorstellungen und Kompetenzen und persönlichen Neigungen geschneidert. Es war sehr viel Arbeit und wir sind noch immer im ständigen Wandel, was mir aber auch gut gefällt und so schnell wohl nicht aufhören wird. "Basteln" biete ich noch an genau einem Vormittag in der Woche an, explizit ohne therapeutischen Anspruch (ich habe darauf bestanden, dass die Veranstaltung nicht "Ergotherapie" genannt wird), sondern nur als lockere Beschäftigung für die Patienten. Für mich ist das immer ein sehr entspannter, lebhafter und positiver Vormittag. Zu allen anderen Zeiten habe ich mit "Basteln" rein gar nichts zu tun. Ich führe Einzelgespräche, werte Fragebögen aus, leite und moderiere edukative Gruppen usw. Dazu schule ich Kollegen darin, ihre Angebote professionell umzusetzen, erarbeite Vorträge über Neuerungen (wie z.B. Ansprüche der Kostenträger) für das Team usw. Einen großen Teil meiner Arbeitszeit nimmt außerdem das Controlling ein, also die fachbereichsübergreifende Therapieplanung und -steuerung. Das einzige, woran ich noch herumbastele, sind Konzepte und Statistiken ;) Du siehst also: Wenn man sich reinhängt und entsprechende Kompetenzen vorweisen kann, ist es durchaus möglich, seine Arbeitsinhalte zu verändern und dem Basteltanten-Image der Ergotherapeuten entgegenzuwirken. Steter Tropfen höhlt den Stein, man muss es nur erst mal tröpfeln lassen. Ich will nicht sagen, dass es in jeder Einrichtung möglich ist. Bei sehr steilen Hierarchien und starren Zuständigkeiten mag es sehr schwierig werden. Dennoch: Du musst anfangen. Von selbst wird dir keiner das perfekte Konzept und den perfekten Arbeitsbereich vorsetzen. Viel Erfolg dabei! Kinaa
Nicht alles, was Hand und Fuß hat, hat auch Herz und Hirn.
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Ich frage mich, ob es am Alter der "Bastel-ETs" - oder am strukturellen Dämmerschlaf mancher psychiatrischer Einrichtungen liegt. Ich bin ja vom Berufsalter (Examen 95) auch eine ausgebildete Basteltante, aber ich sehe diesen "BastelETKram" eher historisch, so als Altsteinzeit der ET.
Werden junge ETs, von alten "Bastel-Ets" runtergezogen, wenn sie nach der Ausbildung als Berufsanfänger in psychiatrischen Einrichtungen anfangen?
Ist jetzt ne Riesenfrage, weiß ich.
Gruß an alle
Kai
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Zitat / Ivanhoe hat geschrieben:Werden junge ETs, von alten "Bastel-Ets" runtergezogen, wenn sie nach der Ausbildung als Berufsanfänger in psychiatrischen Einrichtungen anfangen? Es geht m.E. schon viel früher los, nicht erst nach der Ausbildung. Die Zugangsvoraussetzungen sind an manchen Schulen derart niedrig angesetzt, dass der Unterricht nahezu voraussetzungslos aufgebaut werden muss und dem Anspruch enge Grenzen gesetzt sind (zumindest, wenn die Schule heiß aufs Schulgeld ist und daher jeden mitzieht). Die Lehrkräfte haben (zumindest war das an meiner ausbildenden Schule so) teilweise selbst bloß Wissen von Anno dazumal, welches sie an die Schüler weitergeben. Von moderner Therapie keine Spur. Wer sich da als Schüler nicht von sich aus weiterbildet (und zum eigenständigen Denken fähig ist!), lernt bloß veralteten Stoff auf niedrigem Niveau. In den Praktika geht's genau so: Die Anleiter geben ihr zweifelhaftes Wissen mit Überzeugung an die Schüler weiter, welche es größtenteils 1:1 übernehmen. Ich könnte die Hände über dem Kopf zusammen schlagen, wenn ich von unseren Praktikanten höre, wie bei ihren anderen Praktika gearbeitet wurde. Da werden immer noch stundenlang Sperrholzbrettchen mit Schleifpapier bearbeitet, während der Therapeut im Brustton der Überzeugung verkündet, er fördere damit Sorgfalt und Ausdauer Was mich am meisten ärgert: Die Schulen verlangen genau dieses Denken von den Schülern. "Therapie" wird so unterrichtet und die Sichtstundenplanung soll genau so "stumpf" sein wie oben geschildert. Wie soll da jemals ein Wandel stattfinden? Irgendwann sind diese Schüler dann examiniert und werden die Anleiter der nachfolgenden Auszubildenden... So geht es immer weiter. Wir haben mittlerweile erhebliche Probleme, Kollegen zu finden, welche unserer Arbeit gewachsen sind. Natürlich bevorzuge ich im Bewerbungsprozess Ergotherapeuten, schließlich will man ja die eigene Berufsgruppe unterstützen. Mittlerweile schaue ich mich aber zunehmend nach potentiellen Kollegen aus anderen Berufsgruppen um. Die Ergotherapieausbildung vermittelt inhaltlich und qualitativ einfach nicht das, was bei uns gefragt ist. Die neuen Kollegen sind überfordert und scheitern trotz intensiver Einarbeitung und Begleitung. Wir haben jetzt die dritte Einarbeitung für eine Ergo-Stelle hinter uns und bald wird die vierte folgen, bis wir endlich mal jemanden finden, der qualifiziert ist, die Anforderungen zu erfüllen. So ist es leider. Ich wünschte, ich könnte besseres berichten. Viele Grüße! Kinaa
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Leider sind die Schulen auf Praktikumsplätze angewiesen und können es sich auch nicht mit denen verscherzen. So sind die Fachbereichslehrer wider besserem Wissen auch dazu aufgefordert, diplomatisch zu handeln, ergotherapeutisch sinnvolles Handeln wird abstrakt im Bericht abgehandelt-für die Schule- und die Benotung der Sichtstunde wird zum Bastelcasting mit sozialromantischem Reflektionsgemurmel, welches schwer zu benoten ist. Die Anleiterinnen lesen die Berichte häufig nicht und die Noten werden meist von den Schulen erhoben. Aber die Praktikumsstellen gehören zur Infrastruktur der Schulen, es stellt sich hier ja die Frage, ob die Schulen, die BastelEts aus ihrem Dämmerschlaf erwecken können, oder ob irgendwann die Planstellen für erfolgreiche Heilmittelerbringer zur Verfügung gestellt werden.
Ich spreche jetzt nur von den psychiatrischen und arbeitstherapeutischen Praktikumsstellen.
Es ist auch ein Dilemma für die Schulen.
Gruß Kai
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@ Ivanhoe: stimmt irgendwie nur halb: die Schulen sind auf die Praktikumstellen angewiesen - aber die Praktikumstellen nicht auf die Schulen. Wir sind kurz davor, keine PraktikantInnen mehr zu nehmen wenn die Schule nicht einen Mindeststandart an Kenntnissen garantieren kann. Wenn das um sich greift, haben die Schulen ein Problem zu lösen..... Gruß nimis
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Geändert am 05.03.2016 10:06:00
Auch ich habe mich schon vor mehreren Jahren dazu entschlossen, keine Praktikantenanleitung mehr zu übernehmen. Gründe dafür: Schwache Vorbereitung durch die Schulen, mangelnde persönliche Eignung und heillose Überforderung der Schüler bei anspruchsvoller therapeutischer Tätigkeit, gleichzeitig kaum oder keine Lern- und Selbstreflexionsbereitschaft. Die Kosten überwogen für mich deutlich den Nutzen. Dazu betreiben die Schulen in unserem Umkreis keinerlei Kontaktpflege zu den Praktikumsstellen bzw. -anleitern, es gibt keine Kooperationskultur. Eine Ausnahme bildet eine Schülerin, die ich demnächst anleiten werde. Sie hat ihr Vorpraktikum bei uns absolviert und war bereits vor der Ausbildung schon um Längen besser als die Ergo-Schüler, die ich bei uns bisher erlebt habe. @Kai: Wie stellst du dir das "aus dem Dämmerschlaf erwecken" konkret vor? Die Anleiter, von denen ich spreche, halten ihre Arbeit selbst für hochwertig und professionell - und geben das auch so an die Schüler weiter. Sie sind sich nicht mal über die Kritikpunkte bewusst bzw. darüber, dass diese auf sie zutreffen. Wo wir wieder bei der Sache mit der Selbstreflexionsfähigkeit wären bzw. beim Dunning-Kruger-Effekt (googlen lohnt sich - wenn man sich für so etwas interessiert)... edit: Fehlendes Wort eingefügt
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Ich zitiere: Dazu betreiben die Schulen in unserem Umkreis keinerlei Kontaktpflege zu den Praktikumsstellen bzw. -anleitern, es gibt keine Kooperationskultur.
So kann es nicht gehen! Die Praktikumsstellen sind doch das Gold der Schulen, auch das Schulen dazu verpflichtet sind diese zur Verfügung zu stellen wurde ja schon mehrfach an anderen Stellen benannt. Die Stellenpflege und Organisation sind sehr wichtig und erfordern viel Zeit, Diplomatie und Engagement. Zudem muss man mit Enttäuschungen umgehen können. Ich habe mal eine Praktikumsstelle für eine Schülerin organisiert (Pädiatrie/Bayern/Winter/keine Öffi-Verbindung) von der ich dachte: da passt alles, fachlich, sympathisch gut strukturiert. Nach zwei Wochen kam der Anruf meiner Schülerin: die Geburtsdaten der Kinder flossen in den Befund ein! Also dieser Sternbildquatsch. Zack, Stelle weg, neues Praktikum für die Schülerin organisiert. Viele Telefonate, Besprechungen, Briefe, Abmeldungen, BitteBittemachen und der neuen Stelle erklären: Da kommt jetzt keine Graupe, sondern es hat aus verschiedenen Gründen in der alten Stelle nicht gepasst. Und das sehr diplomatisch, denn die pädiatrischen ETs kennen sich ja alle.
Ich habe an meiner alten Schule Fortbildungsveranstaltungen für die Anleiter organisiert, zunächst über allgemeine ergotherapeutische Themen (COPM), als ich dann aber nach Wünschen gefragt habe kamen nur Rückmeldungen von den pädiatrisch tätigen ETs. Diese Fortbildungen waren auch als Dankeschön gedacht.
Bei der Lektüre zum Dunning-Kruger-Effekt sprangen mir auch gleich mehrere ETs ins Bewusstsein, welche haargenau so ticken. Aber wie rankommen? Eine Schule kann sich nur schlecht hinstellen und sagen: Das was ihr hier macht ist Bastelmurks von vorgestern, ich gehe jetzt zu eurer ärztlichen Leitung und lass euch fortbilden bis euch das Hirn dampft!
Lange Rede kurzer Sinn: ich weiss auch nicht wie!
Gruß Kai
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Schade, ein Masterplan wäre toll gewesen :) Wenn "die Schulen" den Qualitätsstandard vorgeben bzw. erhöhen sollten (was wünschenswert wäre), würde dies doch voraussetzen, dass dort auch Dozenten arbeiten, die Ahnung von moderner, sinnvoller Behandlung haben. Das war (zumindest in meiner Ausbildung) leider nicht der Fall und es hat sich auch nichts Wesentliches verändert, wie ich durch die Praktikanten meiner Kollegen mitbekomme. Da hapert es doch bereits, nicht erst in den Praktikumsbetrieben. Eine meiner Mitschülerinnen aus der Ausbildung schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie nach dem Examen die Patienten einer unserer Dozentinnen, die in der Schule hoch angesehen war, in einer Praxis übernahm. Jahrelanges wöchentliches Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielen im Hausbesuch, um "irgendwas zu fördern" war nur einer der Abgründe, die sich da auftaten Es bleibt wohl ein schwieriges Thema...
Nicht alles, was Hand und Fuß hat, hat auch Herz und Hirn.
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Hey ihr Lieben! Ich bin es jetzt noch mal ;-) Ein riesiges Dankeschön! Eure ehrlichen Worte haben mir gut getan! Hier ein Update:Ich hatte in den letzten Tagen ein Gespäch mit meinem Oberarzt, in dem ich ihm meine Meinung über das veraltete ergotherapeutische Konzept gesagt habe. Sein Kommentar :" Ich bin froh, dass du das auch so siehst wie ich! Als ob Ergotherapie nur etwas mit LKörbchenflechten zu tun hat!" Das bestärkt mich natürlich sehr. Ich habe diese Thematik dann auch innerhalb meines Ergo-Team angesprochen und der Aufschrei war enorm: lautes Geschimpfe, schüttelnde Köpfe und absolutes Unverständnis!!!! Es gibt für sie absolut keine Alternativen oder andere Wege! Und auch ich frage mich, wie ich nun ein neues Konzept entwickeln könnte? Ihr hattes es ja bereits in der Diskussion erwähnt, dass das Problem bereits in der Ausbildung und den Praktikums-Einrichtungen beginnt. Der Einfluss der Basteltanten ist leider einfach zu groß. Mein Oberarzt hat mir eine Weiterbeschäftigung angeboten, könnte mir den Fachbereich auch aussuchen. Meine Bedingung wäre ein neues Konzept umsetzen zu dürfen und er gibt mir auch freie Hand. Habt ihr Ratschläge, Vorschläge, Tipps für mich? Wie gehe ich das jetzt am Besten an? Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll? Oh je!!!! glg Tine-Line123
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