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Studium in den Niederlanden, Praktikum in Deutschland

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6. Mai 2019 08:56 # 1
Registriert seit: 06.05.2019
Beiträge: 4

Hallo,
ich bin Ergotherapiestudentin in den Niederlanden und mache gerade mein Praktikum in einer Deutschen Praxis. Ergotherapie, wie sie in den Niederlanden gelehrt wird und Ergotherapie in Deutschland haben jedoch teilweise große Unterschiede. In den Niederlanden wird nicht nach Verordnung vom Arzt gearbeitet sondern nach Hilfsfrage des Patienten. Die Behandlung beinhaltet also viel ADL Training. In Deutschland wird in der Praxis, in der ich Praktikum mache, vor dem ADL Training häufig Funktionelles Training durchgeführt. Also wird die Muskulatur die zur Ausführung der Hilfsfrage des Patienten benötigt wird erst isoliert trainiert und später wird an der Hilfsfrage des Patienten direkt gearbeitet. Auch das kreative Arbeiten zum Beispiel mit Peddigrohr wird in den Niederlanden überhaupt nicht mehr gemacht, weil zum Beispiel "Korb flechten" keine direkte Hilfsfrage des Patienten ist. Außerdem wird Ergotherapie in den Niederlanden häufig nicht viel mehr als 10 Einheiten pro Jahr vergütet, wodurch Therapie an Erhalt der Funktionen kein häufiger Bestandteil der Ergotherapie in den Niederlanden ist. Jetzt stellt sich die Frage wie ich meiner Niederländischen Dozentin erklären kann, dass die Behandlung in Deutschland trotzdem Evidence Based Practice und auch aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll ist? Hat hier jemand Erfahrung mit oder kennt jemand gute Literatur die sich auf den Erhalt von Funktionen in der Ergotherapie richtet?
Lieben Dank fürs Mitdenken,

Frauke
6. Mai 2019 14:17 # 2
Registriert seit: 23.09.2018
Beiträge: 96

Hallo! Wow, das ist eine spannende Frage. Könntest du nur bitte eventuell ein wenig genauer erklären, was du unter "Hilfsfrage" verstehst? Was könnte das z.B. sein?
Ansonsten kann ich dir nur empfehlen, zur Argumentation ein ergotherapeutisches Modell auszuwählen und anhand dessen zu überlegen, auf wie/auf welchen Teilbereich die Behandlung wirkt. Und ansonsten: viel an der Praktikumsstelle selbst erfragen, wie ein therapeutischer Ansatz ausgewählt wurde. Versuche, das Clinical Reasoning deiner Anleiter nachzuvollziehen. Vielleicht hilft dir das weiter.

Alles Gute weiterhin! ::smile::
7. Mai 2019 09:34 # 3
Registriert seit: 06.05.2019
Beiträge: 4

Danke schonmal für deine Reaktion!
Mit Hilfsfrage meine ich, dass in den Niederlanden der Klient mit einer bestimmten Frage zur Therapie kommt, wie zum Beispiel selbständig Knöpfe schließen, sich waschen können oder den Haushalt führen.
Wenn jetzt ein Patient aufgrund eines Schlaganfalls zum Beispiel verminderte Kraft in Händen und Armen hat und das grundliegend ist für sein Handlungsproblem, wird in Deutschland in der Praxis funktionelles Training eingesetzt um die Muskulatur auf zu bauen und es werden auch kreative Mittel wie zum Beispiel Handwerken eingesetzt um die Muskulatur zu trainieren. Das heißt Handwerken ist das Mittel, um das eigentliche Ziel (Kraftaufbau in Arm und Hand) zu erreichen. In den Niederlanden würde Handwerken nur eingesetzt werden, wenn das auch die Hilfsfrage des Patienten ist. Meine Frage ist jetzt eigentlich: Warum eine andere Tätigkeit als Mittel verwenden statt direkt an der eigentlichen Hilfsfrage zu arbeiten? Warum werden Mittel wie zum Beispiel Korb flechten in Deutschland eingesetzt und in den Niederlanden nicht?
Ich hoffe das es jetzt ein bisschen deutlicher ist, was ich meine. ::smile::

LG Frauke
7. Mai 2019 10:24 # 4
Registriert seit: 06.05.2011
Beiträge: 239

Zitat / Frauke.B hat geschrieben:
Meine Frage ist jetzt eigentlich: Warum eine andere Tätigkeit als Mittel verwenden statt direkt an der eigentlichen Hilfsfrage zu arbeiten? Warum werden Mittel wie zum Beispiel Korb flechten in Deutschland eingesetzt und in den Niederlanden nicht?
Ehrlich gesagt das frage ich mich auch oft... Übrigens Handwerk wird nicht nur in den Niederlanden nicht eingesetzt sondern in praktisch allen anderen Ländern auch nicht und gott sei Dank auch immer weniger in der Ergotherapie in Deutschland. Warum es überhaupt eingesetzt wurde hat aus meiner Sicht historische Gründe. Insbesondere im letzten Jahrzehnt hat sich in der Ergotherapie in Deutschland viel getan Stichworte Akademisierung und Paradigmenwechsel.

Ich nutze "Handwerk" nur wenn es ein Betätigungsanliegen (entspricht deiner Hilfsfrage) meiner Klienten ist und dann auch nicht als therapeutisches Mittel sondern als Betätigung.
Es gibt einige interessante Artikel zu diesem Thema. Wenn du möchtest kannst du mir deine E-Mail Adresse schicken dann kann ich dir ein paar Sachen weiter leiten oder Tipps zu Literatur.
7. Mai 2019 10:47 # 5
Registriert seit: 06.05.2019
Beiträge: 4

Zitat / Sssophie hat geschrieben:

Es gibt einige interessante Artikel zu diesem Thema. Wenn du möchtest kannst du mir deine E-Mail Adresse schicken dann kann ich dir ein paar Sachen weiter leiten oder Tipps zu Literatur.

Sehr sehr gerne! Ich schicke dir eine private Nachricht.
Ich frage mich wie Ergotherapie Dozenten dann ihren Schülern in Deutschland den Sinn dahinter erklären. Oder wird das einfach nicht in Anfrage gestellt?
Lg
Frauke
7. Mai 2019 16:22 # 6
Registriert seit: 23.09.2018
Beiträge: 96

Geändert am 07.05.2019 17:19:00
Es ist einfach ein Bottom-up-Zugang. Direkt an der Hilfsfrage anzusetzen ist eher als Top-down-Ansatz zu sehen, denke ich.
20. Mai 2019 21:43 # 7
Registriert seit: 16.02.2007
Beiträge: 185

Du kannst folgende "redenatie" heranziehen:
Pat. x möchte y erreichen.
Das ganze im Idealfall noch schön nach SMART Kriterien formuliert.
Dann wird am Anfang eine Aktivitätsanalyse durchgeführt.
Bsp.:
Herr x hat Schwierigkeiten sich morgens selbstständig eine Tasse Kaffee zuzubereiten. Du nimmst das AMPS ab und stellst u.a. Schwierigkeiten im motorischen Bereich Subteil "transportieren" fest.
Dieses fällt ihm vielleicht schwer, weil er den Arm aufgrund unzureichender Kraft nicht lange genug ruhig stabilisieren kann und durch den Tremor Kaffee verschüttet wird oder etwas aus der Hand rutscht.
Wie ist dann das weitere Vorgehen? Hier kommt das bereits erwähnte clinical reasoning ins Spiel.
Auf welche Art trainierst du mit ihm, damit er sein Ziel erreichen kann?
Es wäre möglich die Umwelt anzupassen.
Du kannst direkt die Aufgabe üben und immer wieder wiederholen. Oder die Aufgabe anpassen (forward/backward shaping, graded activity).
Oder du entscheidest dich dafür eine andere Aufgabe zu nehmen, die aber die Funktion trainiert, die du wiedererlangen möchtest. Wichtig ist der Denkprozess und die Begründbarkeit deines Herangehens. Dafür kann auch Handwerk eingesetzt werden!
Außerdem: Spiegeltherapie oder roboterunterstütze Therapie ist auch nicht Training in der Alltagssituation und durch Studien dennoch ausreichend belegt.
Die zur Verfügung stehende (Therapie)Zeit spielt aber mit Sicherheit auch eine nicht unbeachtliche Rolle.
21. Mai 2019 00:28 # 8
Registriert seit: 06.05.2011
Beiträge: 239

Zitat / Tekka hat geschrieben:
Du kannst folgende "redenatie" heranziehen:
Pat. x möchte y erreichen.
Das ganze im Idealfall noch schön nach SMART Kriterien formuliert.
Dann wird am Anfang eine Aktivitätsanalyse durchgeführt.
Bsp.:
Herr x hat Schwierigkeiten sich morgens selbstständig eine Tasse Kaffee zuzubereiten. Du nimmst das AMPS ab und stellst u.a. Schwierigkeiten im motorischen Bereich Subteil "transportieren" fest.
Dieses fällt ihm vielleicht schwer, weil er den Arm aufgrund unzureichender Kraft nicht lange genug ruhig stabilisieren kann und durch den Tremor Kaffee verschüttet wird oder etwas aus der Hand rutscht.
Wie ist dann das weitere Vorgehen? Hier kommt das bereits erwähnte clinical reasoning ins Spiel.
Auf welche Art trainierst du mit ihm, damit er sein Ziel erreichen kann?
Es wäre möglich die Umwelt anzupassen.
Du kannst direkt die Aufgabe üben und immer wieder wiederholen. Oder die Aufgabe anpassen (forward/backward shaping, graded activity).
Oder du entscheidest dich dafür eine andere Aufgabe zu nehmen, die aber die Funktion trainiert, die du wiedererlangen möchtest. Wichtig ist der Denkprozess und die Begründbarkeit deines Herangehens. Dafür kann auch Handwerk eingesetzt werden!
Außerdem: Spiegeltherapie oder roboterunterstütze Therapie ist auch nicht Training in der Alltagssituation und durch Studien dennoch ausreichend belegt.
Die zur Verfügung stehende (Therapie)Zeit spielt aber mit Sicherheit auch eine nicht unbeachtliche Rolle.
Sehr schön formuliert....
aber: ist das die breite Realität in Deutschland?
21. Mai 2019 08:34 # 9
Registriert seit: 06.05.2019
Beiträge: 4

Danke @Tekka für deine Antwort. Du beschreibst sehr gut wie eine optimale Kombination der Deutschen und Niederländischen Herangehensweisen aussehen könnte. Ich würde es mir im Idealfall auch so wünschen. Ich finde Funktionelles Training sollte nicht ausgeschlossen werden in der Ergotherapie es sollte eines der Auswahlmöglichkeiten sein wie man an dem Ziel arbeiten könnte. In Holland wird das zurzeit (bis auf dem Rehabereich) doch eher ausgeschlossen. Stattdessen wird ein anderer Ansatz gewählt, wie du bereits sagtest.
Ich habe auch schon gute Artikel gefunden um zu belegen, dass auch funktionelles Training sinnvoll ist und nicht komplett ausgeschlossen werden soll.
Der Teil vor dem clinical reasoning, also eine ausführliche Problemanalyse (durch AMPS oä), bleibt im Praxisalltag in Deutschland tatsächlich, wie Sssophie sagte, tendenziell aus. Ich habe den Eindruck, dass sich hier zu sehr auf das Rezept verlassen wird, weil da ja das Handlungsproblem schon grob umschrieben ist: "Einschränkung der Bewegung" oä. Im Erstgespräch lässt man den Patienten dann die eigene Wahrnehmung zum Ausdruck bringen und dann wird eigentlich schon begonnen mit der Behandlung. Weitere Beobachtungen werden dann im Laufe des Behandlungszeitraums gemacht, aber sind kein fester Bestandteil der Problemanalyse und clinical reasoning.
Vielleicht liegt das auch am Setting in dem ich die Ergotherapie in Deutschland jetzt kennengelernt habe (Praxis). Hat jemand da in einem anderen Setting andere Erfahrungen gemacht?

LG Frauke
24. Mai 2019 22:07 # 10
Registriert seit: 22.08.2004
Beiträge: 387

Hallo,

in Deutschland wird in vielen Praxen noch nach veralteten Methoden gearbeitet, leider auch in der Praxis wo du zur Zeit bist. Da kannst du eben deiner Dozentin es auch schlecht erklären, warum die Arbeitsweise genauso evidienzbasiert ist, wie in den Niederlanden.
Aber es gibt auch Praxen, die nach betätigungsorientierten Grundsätzen arbeiten, d.h. diese setzen das OTIPM um, was ja auch im Heilmittelkatalog bereits verankert ist.
Da wird dann anhand einem Gespräch die Alltagssituation besprochen, d.h. was der Patient wieder tun möchte, wie der normale Alltag konkret aussieht. Dann wird eine Betätigungsanalyse durchgeführt und konkret geplant wie das Betätigungsziel erreicht werden kann.
Wenn du nach den entsprechenden Begriffen googelst, findest du auch Praxen, die so arbeiten, wie du es in den Niederlanden erlebst.


25. Mai 2019 11:40 # 11
Registriert seit: 22.05.2019
Beiträge: 1

Hey du!
Ich arbeite sowohl in einer niederländischen als auch in einer deutschen Praxis!
Vielleicht wäre einen Austausch ganz cool!
Kannst mir gerne eine private Nachricht senden.
Lg
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