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Diskussionsforum

Ergotherapie in der psychiatrischen Praxis

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11. April 2023 19:59 # 1
Registriert seit: 11.04.2023
Beiträge: 9

Hallo!
Ich bin neu hier in diesem Forum.
Seit ein paar Monaten bin ich in einer psychiatrischen Ergopraxis. Das ist eine ganz neue Erfahrung für mich, da ich vorher noch nie in einer psychiatrischen Ergopraxis gearbeitet habe. Doch je länger ich dort arbeite umso mehr Dinge fallen mir auf, die eigentlich sehr „veraltet“ sind. Ich habe selber wie gesagt zuvor noch nie in einer Praxis gearbeitet deshalb wollte ich nun euch fragen ob das alles „normal“ oder eher veraltet ist.
Hier ein paar Beispiele:

- Wir Therapeuten müssen Therapiemittel/ Tanken des Praxisautos (da wir zu 99% Hausbesuche haben) selbst aus eigener Tasche zahlen; wird uns dann monatlich zurückerstattet. Ist nur oft nicht leicht, da es sich auch zwischen 100 und 200€ handelt, das alles vorzustrecken.
- Mir war auch neu, dass wir Therapeuten unsere Patienten zu Arztterminen begleiten und teilweise mehrere Stunden einfach nur im Wartezimmer sitzen.
- Bezahlung: 20€/Stunde brutto (Bayern)
- Pro Therapiebericht werden 30 Minuten als Arbeitszeit bezahlt; Therapieplanung, Termine ausmachen, Stundenzettel ausfüllen und Dokumentationen werden nicht bezahlt und müssen in der Freizeit gemacht werden
- Zwischen den einzelnen Hausbesuchen haben wir 15 Minuten Zeit um zum nächsten Hausbesuch zu fahren (die 15 Minuten werden bezahlt)
- Fortbildungen sind laut meiner Chefin keine Pflicht, was ich sehr schade finde (da ich nur Teilzeit arbeite).
- Auch Instrumente der Ergotherapie wie beispielsweise das CMOP o.ä. sind bei uns „überbewertet“ und meine Chefin hat keine Ahnung davon/ Lust diese anzuwenden, da es bisher ja auch ohne geklappt hat.
- Viele Patienten sehen uns als eine etwas „bessere“ Haushaltshilfe an. Meine Kollegen, sowie die meisten Patienten sind schon jahrelang in unserer Praxis. Mit einer Patientin z.B. wurde jede Woche eine Stunde lang eingekauft, sie anschließend wieder nach Hause gefahren und ihr die Tüten in die Wohnung getragen. Das musste/sollte ich auch so übernehmen, weil es ja schon jahrelang so gemacht wurde und die Patientin auch keine andere Möglichkeit hat, einkaufen zu gehen (kein Führerschein; stark adipös…). Meine Chefin hat ihr sogar die Pfandflaschen abgegeben und ihr den Einkaufswagen geschoben. Das sollte ich wie gesagt laut meiner Chefin einfach so übernehmen, weil sie das ja auch die 10 Jahre zuvor schon so gemacht hat. Für mich ist es echt schwierig etwas gegen die veraltete „Praxisphilosophie“ zu unternehmen, da sich diese schon sehr gefestigt hat.
- Heute war ich beispielsweise bei einer Patientin, die ich übernehmen sollte. Sie meinte zu mir, dass sie keine Alltagsstrukturierung o.ä. benötige, da sie angeblich damit noch nie Probleme hatte. Sie möchte mit mir ihre Wohnung putzen (Fenster putzen, Kühlschrank ausmisten…) - mehr möchte sie nicht und sie war auch nicht wirklich offen für die Vorschläge der gemeinsamen Alltagsstrukturierung,… damit ein solches Chaos in ihrer Wohnung erst nicht entsteht. Ich verstehe dann auch nicht wieso überhaupt Ergotherapie verordnet wird, wenn sie nur ihre Wohnung sauber haben möchte?!

Die Arbeit ist psychisch sehr anstrengend und kräftezehrend. Nach der Arbeit bin ich immer richtig ausgelaugt (obwohl ich nur Teilzeit arbeite).
Auch meine Kollegen arbeiten nicht Vollzeit, da sie das auch nicht „packen“ würden.
Arbeite wie schon gesagt aktuell nur Teilzeit und ich müsste aus finanziellen Gründen (Altersvorsorge) eigentlich Vollzeit arbeiten, doch das würde ich niemals schaffen.
-Aber das nur nebenbei -

Dann kommt auch noch der ständige Zeitdruck hinzu, pünktlich zu den Patienten nach Hause zu kommen. Bin auch den halben Tag auf der Straße am Autofahren.

Habt ihr schon ähnliche Erfahrungen gemacht? Was sagt ihr dazu?

Danke schon einmal für eure Antworten!
VG ::smile::
12. April 2023 14:22 # 2
Registriert seit: 21.11.2014
Beiträge: 99

Viele Punkte, viele Fragen...
Diagnose - Ziel ?
Also ich hatte auch schon Patienten, die meinten im "Alltagstraining" würde ich ihr Klo putzen...
Als ich ihr dann sagte "wir schauen was sie nicht richtig kann beim Klo putzen und wie wir das adaptieren können, dass sie es kann" war das Klo putzen doch nicht mehr so wichtig und konnte von der Putzfrau übernommen werden.

Ich lese aus deiner Beschreibung heraus, dass v.a. Befund/ Anamnese etc. scheinbar völlig außen vorbleibt bzw. bei den "alt eingesessenen" ja schon ewig her ist.
Ebenso vergisst deine Chefin scheinbar, dass sie die Therapie inhaltlich/ fachlich vor jemandem rechtfertigen müsste (aber wo kein Kläger da kein Richter).
Ich kann voll und ganz nachvollziehen, wenn sie mit einer Pat. einkaufen geht, das gehört zum AdL dazu... aber dann doch bitte so, dass die Pat. nicht nur mitgeht und ihre "Wünsche" in den Einkaufskorb packt, sondern dass die Pat. selbst tätig wird. Ich glaube auch wenn man stark adipös ist kann man einen Einkaufskorb schieben...

Ich bin selbst schon mit Angstpatienten einkaufen gegangen... Und über jahre hinweg hat sich das von "traut sich nicht aus der Wohnung" zu "geht allein einkaufen" entwickelt... Aber das was ich bei dir lese verfolgt scheinbar ganz und gar nicht diesen Zweck...

Das Thema mit den Arztbesuchen kann ich auch nicht ganz nachvollziehen v.a. wie bitte rechnet das denn die Chefin ab?

Berichte schreib ich wenn ich Zeit habe, bzw. die nehm ich mir einfach, aber da ich als Solo-Ergo in einer Physiopraxis angestellt bin hab ich den Luxus mir das zu machen wie ich das für richtig halte und bis jetzt hat da auch noch keiner was gegen gesagt... Wobei ich auch keine 30 Minuten für einen Bericht brauche ::unsure::
Aber da kann man auch nicht einen mit dem anderen Vergleichen, mal dauerts länger und mal gehts schneller.

Zu den HB: Ich fahre privat PKW und tanke auch selbst, bekomme Ende des Monats dann die KM- Pauschale vom Vormonat mit dem Gehalt also das ist mMn i.O. aber könnte man auch anders lösen (Tankkarten z.b.)
15 Min hab ich immer für die Fahrzeit eingeplant, auch wenn man mal nur 10 braucht, es gibt immer wieder Dinge die man nicht vorher sehen kann... Und zu den Pat. sag ich auch immer "rechnen sie mal plus/minus 10-15 Minuten so genau gehts nicht immer"
Ich hab schon Physiotermine gesehen von anderen Praxen, da stand auf den Terminzetteln man sollte +/- 2h einplanen...


"Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selbst tun können!"
- Abraham Lincoln -
14. April 2023 21:17 # 3
Registriert seit: 11.04.2023
Beiträge: 9

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort!
Wie meine Chefin die Arztbesuche abrechnet ist mir selbst auch ein Rätsel…
Finde auch, dass bei uns die Ergotherapie zweckentfremdet wurde/wird.
Werde mir definitiv Gedanken machen, wie ich in der Praxis wieder zur richtigen Ergotherapie mit meinen Patienten komme!
16. April 2023 21:36 # 4
Registriert seit: 30.09.2021
Beiträge: 302

Zitat / Ergo1299 hat geschrieben:
Hallo!
Ich bin neu hier in diesem Forum.
Seit ein paar Monaten bin ich in einer psychiatrischen Ergopraxis. Das ist eine ganz neue Erfahrung für mich, da ich vorher noch nie in einer psychiatrischen Ergopraxis gearbeitet habe. Doch je länger ich dort arbeite umso mehr Dinge fallen mir auf, die eigentlich sehr „veraltet“ sind. Ich habe selber wie gesagt zuvor noch nie in einer Praxis gearbeitet deshalb wollte ich nun euch fragen ob das alles „normal“ oder eher veraltet ist.
Hier ein paar Beispiele:

- Wir Therapeuten müssen Therapiemittel/ Tanken des Praxisautos (da wir zu 99% Hausbesuche haben) selbst aus eigener Tasche zahlen; wird uns dann monatlich zurückerstattet. Ist nur oft nicht leicht, da es sich auch zwischen 100 und 200€ handelt, das alles vorzustrecken.
- Mir war auch neu, dass wir Therapeuten unsere Patienten zu Arztterminen begleiten und teilweise mehrere Stunden einfach nur im Wartezimmer sitzen.
- Bezahlung: 20€/Stunde brutto (Bayern)
- Pro Therapiebericht werden 30 Minuten als Arbeitszeit bezahlt; Therapieplanung, Termine ausmachen, Stundenzettel ausfüllen und Dokumentationen werden nicht bezahlt und müssen in der Freizeit gemacht werden
- Zwischen den einzelnen Hausbesuchen haben wir 15 Minuten Zeit um zum nächsten Hausbesuch zu fahren (die 15 Minuten werden bezahlt)
- Fortbildungen sind laut meiner Chefin keine Pflicht, was ich sehr schade finde (da ich nur Teilzeit arbeite).
- Auch Instrumente der Ergotherapie wie beispielsweise das CMOP o.ä. sind bei uns „überbewertet“ und meine Chefin hat keine Ahnung davon/ Lust diese anzuwenden, da es bisher ja auch ohne geklappt hat.
- Viele Patienten sehen uns als eine etwas „bessere“ Haushaltshilfe an. Meine Kollegen, sowie die meisten Patienten sind schon jahrelang in unserer Praxis. Mit einer Patientin z.B. wurde jede Woche eine Stunde lang eingekauft, sie anschließend wieder nach Hause gefahren und ihr die Tüten in die Wohnung getragen. Das musste/sollte ich auch so übernehmen, weil es ja schon jahrelang so gemacht wurde und die Patientin auch keine andere Möglichkeit hat, einkaufen zu gehen (kein Führerschein; stark adipös…). Meine Chefin hat ihr sogar die Pfandflaschen abgegeben und ihr den Einkaufswagen geschoben. Das sollte ich wie gesagt laut meiner Chefin einfach so übernehmen, weil sie das ja auch die 10 Jahre zuvor schon so gemacht hat. Für mich ist es echt schwierig etwas gegen die veraltete „Praxisphilosophie“ zu unternehmen, da sich diese schon sehr gefestigt hat.
- Heute war ich beispielsweise bei einer Patientin, die ich übernehmen sollte. Sie meinte zu mir, dass sie keine Alltagsstrukturierung o.ä. benötige, da sie angeblich damit noch nie Probleme hatte. Sie möchte mit mir ihre Wohnung putzen (Fenster putzen, Kühlschrank ausmisten…) - mehr möchte sie nicht und sie war auch nicht wirklich offen für die Vorschläge der gemeinsamen Alltagsstrukturierung,… damit ein solches Chaos in ihrer Wohnung erst nicht entsteht. Ich verstehe dann auch nicht wieso überhaupt Ergotherapie verordnet wird, wenn sie nur ihre Wohnung sauber haben möchte?!

Die Arbeit ist psychisch sehr anstrengend und kräftezehrend. Nach der Arbeit bin ich immer richtig ausgelaugt (obwohl ich nur Teilzeit arbeite).
Auch meine Kollegen arbeiten nicht Vollzeit, da sie das auch nicht „packen“ würden.
Arbeite wie schon gesagt aktuell nur Teilzeit und ich müsste aus finanziellen Gründen (Altersvorsorge) eigentlich Vollzeit arbeiten, doch das würde ich niemals schaffen.
-Aber das nur nebenbei -

Dann kommt auch noch der ständige Zeitdruck hinzu, pünktlich zu den Patienten nach Hause zu kommen. Bin auch den halben Tag auf der Straße am Autofahren.

Habt ihr schon ähnliche Erfahrungen gemacht? Was sagt ihr dazu?

Danke schon einmal für eure Antworten!
VG ::smile::
Du weißt doch wie es eigentlich gehen sollte und das du so, unter diesen Bedingungen, nicht arbeiten willst und körperlich nicht lange kannst. Deine Wünsche und Vorschläge werden abgeschmettert. Du arbeitest eher wie eine Alltagsbegleiterin und/oder Reinigungskraft, aber nicht wie eine Ergotherapeutin.
Was bringt dir ein Stundenlohn von 20,00€ wenn du dafür nur von deinem Arbeitgeber und den Langzeitpatienten ausgebeutet wirst und Abrechnungsbetrug begehen sollst? Wenn du so viel in deiner Freizeit machen sollst, dann relativiert sich dein Stundenlohn schnell wieder nach unten. Die 20,00€ Brutto stehen somit nur auf dem Papier, so lange du nicht deine tatsächlichen Arbeitszeiten zusammenrechnest und sie dir bezahlen läßt.

Was schreibt ihr denn bei solchen Patienten überhaupt in eure Tagesdoku und in die Therapieberichte? Als Tagesdoku "... habe der Patientin zum 73. Mal gezeigt wie sie ihr Klo selbständig putzen könnte ..." und dann im Bericht "... Da die Patientin immer noch regelmäßig Stuhlgang hat, müssen wir weiter emotional überzeugend daran arbeiten, dass die Patientin vielleicht doch irgendwann, in den nächsten Jahren, sich überwindet und ihr Klo selber putzt. ..." (Ironie off)

Fazit: GEHT GAR NICHT!!! Du findest doch garantiert etwas viel besseres, als das.

"Lebe im Heute als wenn es kein Morgen geben würde. Wenn es doch ein Morgen gibt, um so besser für dich."
19. April 2023 19:45 # 5
Registriert seit: 11.04.2023
Beiträge: 9

Das stimmt!
Eine Tagesdoku gibt es bei uns nicht. Wir müssen die einzelnen Einheiten nicht dokumentieren, außer wir wollen es - dann soll das in unserer Freizeit geschehen.
Therapieberichte muss ich nicht wirklich viele schreiben, da ich mir die Patienten mit meinen Kollegen teile. Die wenigen Therapieberichte die ich schreiben muss fallen mir teilweise echt schwer. Ist ja auch kein Wunder!

Werde bei ein paar Patienten durchgreifen und nicht mehr mit ihnen putzen! Ich bin da um ihnen zu helfen, es wieder alleine zu schaffen aber ich komme wie gesagt ja auch nicht zu ihnen um mit ihnen die Wohnung zum 100 mal zu putzen. Wie würdet ihr das handhaben oder was wäre für euch noch in gewisser Weise in Ordnung wobei ihr den Patienten helft?

Danke für deine Antwort!

VG

20. April 2023 07:39 # 6
Registriert seit: 21.11.2014
Beiträge: 99

Also ich kann nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen...
Aber schwarze Schafe gab es ja schon immer...

Zitat / hat geschrieben:
Das Gesetz verlangt die Dokumentation in Papierform oder elektronisch. Dabei muss sichergestellt sein, dass Berichtigungen und Änderungen von Einträgen neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar sind. Weiter muss erkennbar sein, wann der Therapeut sie vorgenommen hat.


Vielleicht sollte sich deine PI mal mit ihren Pflichten vertraut machen ::rolleyes::
Ich schätze fast in dieser Praxis wirst du auf kurz oder lang nicht das finden und erreichen was du dir erhoffst...
Wenn du dir den Großteil der Pat. mit anderen Th. teilst, dann wirst du dort keine großen Veränderungen erreichen können...
Ganze ehrliche Meinung? Such dir was anderes. Du bist gut ausgebildet und ich glaube kaum, dass dies die einzige Praxis ist, in der du eine Anstellung findest.
"Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selbst tun können!"
- Abraham Lincoln -
20. April 2023 17:59 # 7
Registriert seit: 11.04.2023
Beiträge: 9

Ich kannte das vorher ehrlich gesagt auch nicht, dass die einzelnen Einheiten nicht dokumentiert werden.

Habe mich bei einer Patientin, die seit 13 Jahren bei uns in Therapie ist auch mal erkundigt, was denn meine Kollegin mit ihr so gemacht hat und sie meinte, dass sie entweder einkaufen gefahren sind, sie einen Kaffee getrunken oder ab und zu mal zum Arzt gefahren sind. Und das 13 Jahre lang?!

Vielen Dank für die Antwort! Ich werde mir das alles zu Herzen nehmen!
21. April 2023 08:24 # 8
Registriert seit: 13.03.2011
Beiträge: 201

Such dir ne andere Praxis. Ich finde, sowas könnte man auch mal melden. Das geht gar nicht. Das hat rein gar nichts mit Ergotherapie zu tun!

LG Salu
Liebe ist, dem Geliebten zu geben, was er braucht. Der Geliebte wird dir geben, was du brauchst, wenn du die Erwartung aufgibst, etwas zu bekommen. [Anita Balser]
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