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Motivationsbedingte Ablenkbarkeit... Ratlos.

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7. Mai 2023 13:42 # 1
Registriert seit: 12.12.2021
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Beiträge: 25

Seit einem Rezept habe ich einen 10 Jährigen in Behandlung. Im Aufnahmegespräch wurde als größtes Problem die Ablenkbarkeit im Unterricht deutlich, worunter die schulischen Leistungen leiden, darum Ergotherapie. Weitere Anliegen gab es nicht. Therapie begonnen, Jungen kennen gelernt. Sehr freundliches und reflektiertes Kind. Er bestätigte das Problem und sagte offen, dass er lieber mit seinen Schulfreunden "quatscht" weil das mehr Spaß macht als Unterricht. Testungen ergaben weder Wahrnehmungsdefizite noch Konzentrationsdefizite. MKT Elemente, herausfordernde Logik- und Konzentrationsspiele: alles kein Problem in 1:1. Kind ist sehr motiviert und verfügt über eine sehr gute Handlungsplanung. Gespräch mit der Lehrerin gesucht: Sie bestätigt, der Junge ist im Unterricht nach sozialer Interaktion aus. Also nochmal den Tagesplan mit der Mutter besprochen. Nach der OGS verbringt der Junge seine Freizeit selbstbewählt mit einem interaktionellen Computerspiel. Ich rate zu sportlichem und sozialem Ausgleich: das wiederum sei von dem Jungen nicht erwünscht, da er das Spiel so gerne zockt und darüber auch mit seinen Freunden connected ist. Im "real live" sieht er sie also in der Schule.

Nach einem Rezept wollte ich die Ergotherapie nach Absprache beenden, da in der Therapie keine Auffälligkeiten auftreten und ich kein verfolgbares Ziel sehe. Die Mutter sagt nun, dass es in der Schule aber immer noch nicht besser sei, deswegen soll die Ergo fortgesetzt werden. Auf den Kundenwunsch musste ich eingehen und jetzt sitze ich da und weiß nicht, was ich für das Kind tun kann. Er kommt sehr gerne und nimmt alle Angebote an, aber zielführend ist es nicht. Das habe ich so auch in den Behandlungsbericht geschrieben. Meine aktuelle Idee ist nun, ein selbstständiges Handwerksprojekt, wo er konzentriert arbeiten und sich nicht von mir ablenken lassen soll.
(Gruppentherapie kann auf Grund struktureller Gegebenheiten nicht angeboten werden und ist meines Erachtens auch keine Problemlösung)
Mir fiele noch Neurofeedback ein, was wir allerdings nicht haben.
Hat jemand eine Idee?
7. Mai 2023 16:47 # 2
Registriert seit: 04.08.2002
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Beiträge: 1247

Hallo,
aus meiner Sicht ein typischer Fall für die Gruppentherapie, sollte er dort ebenfalls unauffällig sein, soll sich die Lehrerin um eine passende Motivation im Unterricht kümmern, bzw. die Eltern für ein angemessenes verhalten erzieherisch einwirken.
Kein Bock war für mich in der Schule auch ein Grund für schlechte schulische Leistungen. und schwierige soziale verhältnisse blah, blah, blah...
Irgendwann muss er lernen sich zu regulieren, für mich kein Fall für die Therapie, sondern die Erziehung.

Schönen Restsonntag.
Signaturen lesen ist Zeitverschwendung!
8. Mai 2023 13:02 # 3
Registriert seit: 14.12.2006
Beiträge: 4

Hey
du hast ja schon einiges befundet und abgeklärt, mir würde noch einfallen zu schauen,
ob Sehtests und Hörtests regelmäßig gemacht wurden und ob es aus der Anamnese heraus
Sinn machen würde, die Lese- und Rechtschreibfertigkeiten testen zu lassen.
Ansonsten sehe ich es ähnlich, nicht jedes ablenkbare Verhalten ist pathologisch und
Eltern und Schule sollen ihn regulierend unterstützen.

Schönen Gruß
8. Mai 2023 21:57 # 4
Registriert seit: 12.09.2002
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Beiträge: 279

Hallo Lerchenblick,

ich finde der Fall ist eindeutig: du nennst es "motivationsbedingte Ablenkbarkeit". Ich würde sogar noch weiter gehen und vermuten, das Problem ist die Motivation und nicht die Ablenkbarkeit.
Zitat / Lerchenblick hat geschrieben:
Sehr freundliches und reflektiertes Kind. Er bestätigte das Problem und sagte offen, dass er lieber mit seinen Schulfreunden "quatscht" weil das mehr Spaß macht als Unterricht

Dies ist die Situation aus Sicht des Jungen. Es klingt nicht nach Ablenkbarkeit, sondern nach einer bewussten und (s. o.) reflektierten Entscheidung, sich so zu verhalten.
Zitat / Lerchenblick hat geschrieben:
Gespräch mit der Lehrerin gesucht: Sie bestätigt, der Junge ist im Unterricht nach sozialer Interaktion aus.
Hier ebenfalls aus Sicht der Lehrerin eine klare Aussage. Keine Ablenkbarkeit.
Also arbeite mit dem Jungen zusammen an seiner Motivation. Hat der Junge ein Ziel? Was möchte er und was möchte er verändern? Was stört ihn? Ein zehnjähriger - noch dazu freundlicher und reflektierter Junge kann sehr wohl benennen, was ihm gefällt und in welche Richtung er bereit ist, sich zu entwickeln.

Ich hatte mal einen Fünfjährigen, der sich nicht selbstständig anziehen wollte. Keine Lust. Wir fanden gemeinsam heraus, dass er Feuerwehrmann werden wollte, dafür brannte er. Wir überlegten gemeinsam, was Feuerwehrleute können müssen und .... siehe da: er wusste sehr genau, was die Feuerwehrleute tun müssen, wenn der Alarm losgeht. Das Anziehen hatte plötzlich eine ganz andere Bedeutung. ::wink::

Zurück zu deinem Zehnjährigen: ich sehe weder einen Anlass, seine Augen und Ohren zu überprüfen, noch ihn in eine Gruppe zu stecken, noch ihn eine Handwerksarbeit machen zu lassen.

Finde doch mit ihm zusammen heraus, wo seine Motivation liegt. Vielleicht stört es ihn, dass er in der Schule oft ermahnt wird. Dann könnte ein Ziel sein, die Ermahnungen der Lehrerin zu reduzieren (von ihm selbst kontrolliert und natürlich SMART ::wink::). Vielleicht hat er schon ein eigenes Ziel: eine bestimmte Schule, einen Berufswunsch. Dann hole ihn da ab und überlegt gemeinsam, wie er dort hinkommen kann. Das funktioniert manchmal besser, wenn die Mutter nicht dabei ist, und manchmal, wenn Mutter und Kind direkt zusammenarbeiten. Manchmal ist das Ziel des Kindes nicht dasselbe wie das der Mutter oder der Lehrerin. Aber der Junge ist dein Klient - arbeite mit ihm zusammen und schau, dass du das Umfeld mit einbeziehst, wenn möglich. Lass ihn selbst aktiv werden. Und lass es offen, wie es ausgeht, das Ergebnis kann ganz anders aussehen, als du es jetzt vermutest.

Die Voraussetzungen klingen super,
viel Spaß und Erfolg,

xxu



28. Juni 2023 11:24 # 5
Registriert seit: 12.12.2021
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Beiträge: 25

Zitat / xxu hat geschrieben:
Hallo Lerchenblick,

ich finde der Fall ist eindeutig: du nennst es "motivationsbedingte Ablenkbarkeit". Ich würde sogar noch weiter gehen und vermuten, das Problem ist die Motivation und nicht die Ablenkbarkeit.
Zitat / Lerchenblick hat geschrieben:
Sehr freundliches und reflektiertes Kind. Er bestätigte das Problem und sagte offen, dass er lieber mit seinen Schulfreunden "quatscht" weil das mehr Spaß macht als Unterricht

Dies ist die Situation aus Sicht des Jungen. Es klingt nicht nach Ablenkbarkeit, sondern nach einer bewussten und (s. o.) reflektierten Entscheidung, sich so zu verhalten.
Zitat / Lerchenblick hat geschrieben:

Finde doch mit ihm zusammen heraus, wo seine Motivation liegt. Vielleicht stört es ihn, dass er in der Schule oft ermahnt wird. Dann könnte ein Ziel sein, die Ermahnungen der Lehrerin zu reduzieren (von ihm selbst kontrolliert und natürlich SMART ::wink::). Vielleicht hat er schon ein eigenes Ziel: eine bestimmte Schule, einen Berufswunsch. Dann hole ihn da ab und überlegt gemeinsam, wie er dort hinkommen kann. Das funktioniert manchmal besser, wenn die Mutter nicht dabei ist, und manchmal, wenn Mutter und Kind direkt zusammenarbeiten. Manchmal ist das Ziel des Kindes nicht dasselbe wie das der Mutter oder der Lehrerin. Aber der Junge ist dein Klient - arbeite mit ihm zusammen und schau, dass du das Umfeld mit einbeziehst, wenn möglich. Lass ihn selbst aktiv werden. Und lass es offen, wie es ausgeht, das Ergebnis kann ganz anders aussehen, als du es jetzt siehst.


Hallo und danke für die Antworten. Ich melde mich nach einigen Einheiten nochmal zurück zu diesem Thema. Ich habe mit dem Jungen konstruktive Gespräche führen können. Allerdings mit dem Ergebnis, dass er keinen Bock auf Schule hat (und das mit 10!) da er ein berühmter Popstar werden will. Solche "Phasen" hat glaub ich jeder Teenie, aber als Grundschüler finde ich das noch zu früh... Also ich war in der Grundschule total lernbegeistert und voller Elan. Er zeigt sich sehr individualistisch, androgyn und hat auch schon eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise (möchte sich die (noch nicht vorhandenen) Beinhaare waxen lassen, interessiert sich für Make-up, Markenmode etc.) Ich sehe da gewisse Tendenzen für die Zukunft, was auch völlig in Ordnung ist, wundere mich nur, dass das schon so früh anfängt. Aber gut, durch die Medien werden die kids ja auch schon früh damit konfrontiert und sexualisiert.
Jedenfalls kam dabei heraus, dass er gar nicht aufs Gymnasium möchte und lieber auf die Gesamtschule, da das die schlechteste Schule ist und man sich da nicht anstrengen müsse. Er ist aber auf dem Gym angemeldet und wird nach den Sommerferien dahin gehen.
Wir haben jetzt (angelehnt an das Kawa Modell) ein "Motivationsbild" auf Leinwand erstellt und dabei überlegt, was das Ziel ist und was man auf dem Weg dahin überwinden muss. Alternativ zum berühmten Popstar steht nun Modedesigner im Raum und dafür muss man ja studieren...
Im besten Fall wird er auf dem Gymnasium vom Ansporn der anderen mitgezogen, aber da er sich wie gesagt eher individualistisch zeigt, bin ich mir da nicht so sicher...
Ich sehe meine Aufgabe damit beendet da das Kind keine Auffälligkeiten zeigt. Er ist motorisch und sozial weiterhin nicht ausgelastet, möchte das aber selbst nicht ändern, da er lieber das besagte PC Spiel zockt.
28. Juni 2023 14:07 # 6
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Beiträge: 85

Hmm du schreibst er will Popstart werden. Hast du schonmal mit ihm erarbeitet, was so ein Popstar eigentlich können sollte? Also man muss ja Texte schreiben.. Dafür wäre Rechtschreibung schon mal gut, vielleicht auch Fremdsprachenkenntnisse (für den internationalen Erfolg und so). Und was ist mit Buchhaltung? Man sollte ja schon nen Überblick über die ganzen Millionen haben, die da auf einen zukommen und sich mit Zinsen und Anlagemöglichkeiten auskennen. Schließlich will man ja nicht von irgend so nem dubiosen Manager abgezockt werden. Mathe sollte also auch wichtig sein. Und apropos internationaler Erfolg. Mal von Fremdsprachen abgesehen wären doch auch gewisse Kenntnisse der geographischen Gegebenheiten, Kultur, Religion usw hilfreich. Überhaupt kann sowas ja auch immer gut in Songtexte einfließen ;) Und in zukünftigen Interviews will man doch auch weltoffen und gebildet rüber kommen.
Vielleicht kann man so die Motivation etwas steigern und die Sicht auf die Schule verbessern (Bushido hat doch auch Abitur..oder so ;)
8. Juli 2023 21:06 # 7
Registriert seit: 30.01.2015
Beiträge: 19

Ich bin mir bewusst, das ich zu negativ bin, aber Popstar sehe ich nicht als echte Antwort. Für mich ist das eine ausflucht, wie der 7 jährige der sagt er will Computerspiele erfinden oder UTuber werden. Was ich lese isr das Kind mit der Frage überfordert, kann es aber durch seine reife und reflektierte art gut kaschieren.
Das er Computer spielt, täglich und sicher über mehrere Stunden würde mich auf die Spielsucht Schiene schieben und dann sollte sich dringend hier die KJP mit ihm beschäftigen, da hilft Ergo alleine nicht. BEgleitend, ja, um Interessen zu finden, aber nicht alleine.
Schönes Wochenende!
17. September 2023 21:14 # 8
Registriert seit: 17.09.2023
Beiträge: 4

Halli Hallo,
Wie ich das verstehe, hat er ja wirklich keinerlei Motivation IRGENDWAS zu verändern.
Da wird "Interessen finden" sicherlich auch schwierig- er hat ja seiner Meinung nach schon mit Computerspielen genug Interessen... Ich finde das sehr schade, is aber so. Ich glaube ich würde genauso wie du (nach zwei Rezepten) sagen, dass mein Auftrag hiermit erledigt ist... Man kann die Leuts ja ned zu ihrem Glüch zwingen. Außerdem kann er sich ja jederzeit wieder bei dir melden, wenn er doch den Wunsch verspürt, irgendetwas zu ändern.

Liebe Grüße,

Joycie
17. Oktober 2023 19:44 # 9
Registriert seit: 29.10.2015
Beiträge: 11

Hallo zusammen,
ich war eigentlich auf der Suche nach etwas anderem und bin so über dieses Thema gestolpert. ::biggrin::

Als ich so deine Schilderungen lese, frage ich mich, ob schon mal geschaut wurde wie es um den IQ steht? Diese ich habe keine Lust mich anzustrengen Mentalität kommt oft bei Hochbegabten oder höher Intelligenten Menschen vor und würde auch erklären warum ihm die Interaktion wichtiger ist als der Unterricht. Natürlich kann ich auch völlig falsch liegen, aber das kam mir beim durchlesen spontan in den Sinn.
Hochbegabte sind es gewohnt, dass ihnen alles leicht von der Hand geht und sie sich nicht anstrengen müssen. In Jungen jahren wählen sie lieber den geringern Weg weil sie nicht nach höherem streben sondern nach dem Weg mit dem geringsten Aufwand (zumindest in den Bereichen, für die sie nicht brennen)
Siehst du da evtl. Zusammenhänge? Was machen die Eltern beruflich? Wie weit gehen evtl. die Vorstellungen des Kindes und die der Eltern auseinander?

VG

Wenn ich bei Kindern an der "Disziplin" arbeitn möchte, verwende ich immer gern die Attentioner Methode - ist ein Konzentrationstrainingsprogramm, das darauf abziehlt Ablenkungsreize zu ignorieren und sich zu fokkussieren.
~ was ich nicht weiß, kann ich mir aneignen ~ doch manchmal ist Unwissenheit ein Segen ~
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