Geändert am 19.09.2024 19:36:00
Hallo VillaKunterbunt,
ich ebenfalls! :) Es ist ein absolut toller Job!
Wir nutzen in der Aufnahme das COPM. Wir unterscheiden dabei aber auch in Fern- und Nahziele. Das (meist) Fernziel nach Verurteilung nach §63 dort herauszukommen ist zwar nice, aber steht eben weit am Ende. Ich versuche mit den UPs Nahziele zu formulieren und eine PYRAMIDE aufzubauen. An der Spitze steht die Entlassung. Immer weiter unten drunter stehen die Tools und Dinge, die sie dafür brauchen. Das hilft den schizophrenen Patienten ungemein, die Reihenfolge und dessen Zusammenhang besser zu merken und zu verstehen. Nur zu reden ist super anstrengend für sie, da sehr abstrakt. Am besten mit weißer Schrift auf schwarzem Grund.
Auch hierfür kann man das COPM ganz gut nutzen, da sich die Ziele meistens über alle drei Betätigungsbereiche ziehen (viele kommen aus der Obdachlosigkeit oder mittlerweile auch aus Asylheimen und die Körperpflege ist zumeist eingeschränkt). Dort könnte man den Bogen zum SI-Bereich spannen, zwecks Körperwahrnehmung. Oft leiden Schizophrenieerkrankte an Wahrnehmungsstörungen der Extremitäten und auch unter Apraxie. Das kannst du dir leicht an der Alltagshandlung "Sich einen Kaffee kochen" verdeutlichen. Du brauchst in deinem Kopf dafür wahrscheinlich 5 - 8 Handlungsschritte. Alles andere läuft automatisiert ab. Schizophrenieerkrankte brauchen dabei ca. 50x mehr. Auf den GANZEN Alltag betrachtet eine totale Herausforderung, oder?
ABER: Am Anfang steht eine tragfähige Therapeut-Patient-Beziehung. Sie kommen immerhin "frisch" von der Station (Vorgabe ist Aufnahme innerhalb 6 Wochen - utopisch!). Gerade Schizophrenieerkrankte (die immer und immer mehr werden!) brauchen 1000x mehr Wiederholungen in Handlungsteilen als gesunde Menschen. Somit lebt die Bereitschaft und Offenheit der UP von Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit. Hat man diese Basis hergestellt, kann man anfangen, die Interessen der UP zu beleuchten. Diese bestehen größtenteils, durch die Freiheitsbeschränkungen, aus: Rauchen, Essen, Schlafen. Kein Witz, das ist - zumeist - alles. Hierfür nutze ich den Interessenfragebogen oder aber auch "Handeln gegen Trägheit".
Erst, wenn in dem Bereich eine gewisse Stabilität und Identität stattgefunden hat, dann ist m.M.n. das Thema "Arbeit" anzusprechen. Bei der Produktivität kann man mittels HAMET, IDA, MELBA usw. gemeinsam mit der UP herausgefunden werden, welche Fähigkeiten sie für ihr bevorzugtes Ziel benötigen. Dafür geht die Person in eine Erprobungsphase, in der bei arbeitsnahen Betätigungen an den Fähigkeiten, die sie für ihren bevorzugten Bereich benötigen, gearbeitet wird (Beispiel: Aufbau des Körpertonus bei Teilnahme am AT-Bereich Holz / Metall). In der Erprobungsphase werden idealerweise ebenfalls Nahziele vereinbart, die sich ausschließlich auf diesen Bereich beziehen. So hat die UP nicht zu viele Reize / Einflüsse / Vereinbarungen. Das führt nur zu Druck. Die Aufnahme hat quasi den "Überblick" über alle Ziele in den Einzelbereichen.
Ich mache auch noch kognitives Training, u.a. nach Stengel, aber auch frei. Wir sind gerade dabei, kognitive Testungen zu implementieren. Da wir eine große Bandbreite von Störungsbildern haben (u.a. auch Demenz, Korsakow, Parkinson, aber auch Entwicklungs- / Intelligenzstörungen), brauchen wir einen Pool aus Testungen, die wir spielerisch in die Gruppen mit einbinden. Bei etwas fitteren UPs kann man es auch offen als Test deklarieren, manche sind sogar neugierig darauf, wenn die Therapeut-Patient-Beziehung stabil genug ist! Das ist immer sehr schön zu sehen!

Um einen Draht zu den UPs zu kommen, gehe ich meist über die Bedürfnisse, denn das ist oft der einzige "Lichtblick", den sie auf der Station haben und den sie auch zunächst in die externe Gruppentherapie natürlich übertragen. Hierbei sind die 30 Boxen der 10 Minutenaktivierung RICHTIG klasse! Dafür ist aber auch eine Gruppenplanung notwendig (z.B. eine Gruppe, in der alle Patienten rauchen usw.). Die Aktivierung ist gerade bei eher antriebsgeminderten UPs super. Auch Genussgruppen wo man fühlen oder riechen muss, ist eine gute Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der UPs zu steigern, so dass sie überhaupt mal wieder mit der Außenwelt in Kontakt treten und auch etwas Realistisches wahrnehmen (neben den ganzen anderen Symptomen, z.B. Stimmen).
Ich kann dir folgende Literatur empfehlen:
Josef Bäuml - "Psychosen"
Dagmar Haase - Den Wandel wagen – Ergotherapie in der forensischen Psychiatrie
Beate Kubny Luebke - Ergotherapie im Arbeitsfeld Psychiatrie
Wolfgang Hesse / Katharina Prünte - SI für schizophrene Patienten
Möchte man SI im Maßregelvollzug implementieren, kann ich nur auf Wolfgang Hesse (Köln) schwören.

Außerdem kann ich dir nur empfehlen, die internen Fortbildungen alle mitzunehmen. Ich war gestern auf der Fortbildung zur Psychoedukation bei Schizophrenie und Psychosen. Super interessant gewesen und ich konnte viele Teile für die Ergotherapie mitnehmen und adaptieren.
Ich empfehle dir am Anfang allerdings keine Therapie im KIR / IBR zu machen bzw. nicht an der Klappe. Dafür braucht man ein wirklich gutes Gespür, muss die Station und das Pflegeteam kennen, ihnen vertrauen können und auch ein Gespür für die Patienten bekommen haben. Meine Empfehlung: Nicht, bevor du nicht mindestens ein halbes Jahr dort arbeitest (ohne Einarbeitung)!
Wenn du noch weitere Fragen hast, gerne!
Gruß
Krav-Maga-Elfe