Frühgeborene Kinder haben ein hohes Risiko für Hirnschäden.
Eine Studie am Universitätsspital Zürich in Kooperation mit dem Universitäts-Kinderspital Zürich zeigte nun,
dass Kreative Musiktherapie die Hirnentwicklung der Kinder fördert und zudem einen schützenden Effekt hat.
Frühgeborene Kinder haben einen schwierigen Start ins Leben.
Dank medizinischer Fortschritte sind ihre Überlebenschancen in den letzten Jahren jedoch massiv gestiegen.
Die Gehirne von Kindern, die lange vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt kommen, sind noch nicht vollständig ausgereift und darum anfällig
für bleibende neurologische Schäden. Die Schädigungen können kognitive als auch psychische Beeinträchtigungen,
Verhaltensauffälligkeiten oder Bewegungsstörungen zur Folge haben, die über die Kindheit hinaus bis ins Jugend- und Erwachsenenalter bestehen bleiben.
Hinzu kommt, dass die Kinder in einer neonatologischen Intensivstation mit Licht, Geräuschen und auch Schmerzen unvermeidlich einem
gewissen Stress ausgesetzt sind – und der beruhigende Herzschlag der Mutter fehlt ebenso plötzlich wie die schützende Umgebung.
Positive Hörerlebnisse fördern die Entwicklung des Gehirns
Aus Studien bei Menschen und Tieren ist bekannt, dass positive Hörerlebnisse die Entwicklung des Gehirns fördern und das Hören von Musik
neurobiologische Prozesse, neurologisches Lernen und die Aktivität und Bildung der Synapsen unterstützt.
Frühere Untersuchungen haben außerdem gezeigt, dass die Kreative Musiktherapie (creative music therapy, CMT) bei frühgeborenen Kindern
einen positiven Einfluss auf Störungen und damit Schädigungen in der Gehirnentwicklung haben kann.
Speziell ausgebildete Therapeut*innen nehmen das Atemmuster und physische Anzeichen etwa von Schmerz oder Unruhe der Kinder
auf und unterstützen sie durch Singen und Summen im Wiegenliederstil dabei, sich selber zu regulieren.
Wenn möglich werden auch die Eltern in die Therapie einbezogen und zum eigenen Singen angeleitet.
So kann die Therapie beispielsweise während des „Känguru“ im Hautkontakt mit Vater oder Mutter durchgeführt werden, um die Bindung zu unterstützen.
Die Therapie bewirkt augenscheinlich bei den Kindern eine merkliche Entspannung, was sich in der Atemfrequenz,
aber auch an Gesten oder am Gesichtsausdruck zeigt.
Die körperliche Nähe zu Mutter und Vater verstärkt die positiven Effekte der Therapie.
Zudem ebben die häufig vorhandenen Ängste der Eltern ab, was sich auf die Kinder weiter beruhigend auswirkt.
Ob sich die CMT auch nachweislich kurz- und mittelfristig positiv auf die neuronale Entwicklung und bestimmte Hirnregionen auswirkt,
wurde bislang noch nicht eruiert.
MRI-Untersuchung der Kindergehirne im Schlaf
Die Musikwissenschaftlerin und Pionierin der Kreativen Musiktherapie in der Neonatologie Friederike Haslbeck hat nun zusammen mit einem Team
in der Klinik für Neonatologie am Universitätsspital Zürich und am Universitäts-Kinderspital Zürich in einer Studie die Entwicklung und
Veränderungen der Gehirne frühgeborener Kinder unter der Musiktherapie untersucht.
Um die Kinder maximal zu schonen, kam dabei die Diffusionsgewichtete Magnetresonanztomografie (DTI) zum Einsatz.
Das Verfahren wird zur Untersuchung des Gehirns angewendet und erlaubt Rückschlüsse auf den Verlauf der großen Nervenfaserbündel.
Wie die bekanntere Magnetresonanztomografie (MRI), ist die DTI nichtinvasiv, sie erfordert weder eine Injektion von Kontrastmitteln
noch den Einsatz von ionisierender Strahlung.
In die Studie konnten 82 Kinder aufgenommen werden. Die Hälfte erhielt
zusätzlich zur üblichen Therapie zwei- bis dreimal wöchentlich ca. 20 Minuten Musiktherapie, jedes Kind nach einem individuell
erstellten Therapieplan. Die Aufenthaltsdauer der Kinder im Spital betrug drei bis zehn Wochen,
die Zahl der Therapieeinheiten acht bis dreißig.
Die DTI-Untersuchung wurde jeweils während des natürlichen Schlafes duchgeführt.
Um die Kinder darin nicht zu stören, wurde ihnen zudem ein Gehörschutz aufgesetzt. Zur Sicherheit wurden permanent die
Herzfrequenz und die Sauerstoffsättigung im Blut überwacht. Kein Kind zeigte negative Auswirkungen der Untersuchung.
Sichtbare Effekte der Musiktherapie
Die Auswertung der Daten zeigte wenig Einfluss der Musiktherapie auf die grundlegenden Strukturen des Gehirns.
„Bei den Kindern mit Musiktherapie stellten wir jedoch eine signifikant geringere Verzögerung in den Funktionsprozessen zwischen Thalamus und Hirnrinde,
stärkere funktionale Netzwerke und ein verbessertes Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen, unter anderem in den für die Motorik und Sprache
relevanten Bereichen fest“, fasst Friederike Haslbeck die Ergebnisse zusammen.
„Damit konnten wir zum ersten Mal auch mit Bildgebung einen positiven und damit schützenden Effekt der Musiktherapie auf die Hirnentwicklung nachweisen.“
In einer groß angelegten Folgestudie in mehreren Neonatologien der Schweiz will Friederike Haslbeck nun untersuchen, ob sich die Musiktherapie auch
längerfristig positiv auf die Entwicklung der frühgeborenen Kinder auswirkt.
Originalpublikation
Friederike Barbara Haslbeck et al. Creative music therapy to promote brain function and brain structure in preterm infants: A randomized controlled pilot study
doi: 10.1016/j.nicl.2020.102171
Quelle:
Universitätsspital Zürich