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Gesundheitsfachberufe im Wandel: Evaluation der Modellstudiengänge

Deutschland wird in der wirtschaftlichen Entwicklung international häufig als „Vorreiter“ bezeichnet – für die akademische Professionalisierung der Gesundheitsfachberufe gilt das nicht: Hier hinkt Deutschland seinen europäischen Nachbarn weit hinterher. In der Schweiz, Skandinavien oder den Niederlanden sind Therapeuten und Pflegekräfte mit einem Hochschulabschluss seit vielen Jahren die Regel. Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Gesundheitspraxis diskutierten Anfang November auf einem Symposium der Hochschule Fresenius und der Robert Bosch Stiftung in Berlin darüber, wie Deutschland in diesem für die Gesundheitsversorgung wichtigen Punkt nachziehen kann und muss.

Seit 2009 können Hochschulen in Deutschland mit der Einführung so genannter „Modellklauseln“ primärqualifizierende Studiengänge in den Berufsfeldern Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie anbieten. Die Frage, ob diese Erprobungsphase in eine dauerhafte gesetzliche Regelung mündet, soll der Bundestag 2016 entscheiden. Dazu sind die Bundesländer im Vorfeld aufgefordert, die entwickelten Modellstudiengänge zu evaluieren.

Darüber hinaus hat die Hochschule Fresenius in Kooperation mit fünf weiteren Hochschulen, darunter die Alice-Salomon-Hochschule Berlin und die SRH Hochschule Heidelberg, eine länder- und hochschulübergreifende unabhängige Evaluation initiiert. Die Ergebnisse wurden am 2. November in Berlin vorgestellt. Die Studie wurde gefördert durch die Robert Bosch Stiftung.

Raus aus der Modellphase: Studiengänge regeln, Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen reformieren

Die Evaluation wurde von Prof. Dr. Ingrid Darmann-Finck von der Universität Bremen und Prof. Dr. Bernd Reuschenbach von der Katholischen Stiftungsfachhochschule München durchgeführt, die beide auch die Studie zu den Modellstudiengängen im Auftrag des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums verantwortet haben. Bei der hochschulischen Ausbildung in den Pflege- und Gesundheitsberufen hat das Land Nordrhein-Westfalen bundesweit eine Vorreiterrolle eingenommen und baute sogar eine eigene Hochschule für Gesundheit in Bochum auf. Laut Präsidentin der Hochschule, Prof. Dr. Anne Friedrichs, geht es bei der Akademisierung nicht mehr um die Frage ob, sondern wie. "Wir müssen raus aus der Modellphase", so Friedrichs.

Diese Einschätzung unterstreicht auch der Abschlussbericht der länderübergreifenden Evaluation, der eine klare Empfehlung für die Überführung der hochschulische Erstausbildung in der Physiotherapie, der Logopädie und der Ergotherapie in den Regelbetrieb enthält. Favorisiert werden praxisintegrierende Studiengänge, bei denen der Bachelorabschluss zugleich mit einer Berufszulassung verbunden ist. Die Integration der staatlichen Abschlussprüfung gestaltet sich dabei jedoch schwierig. Im Zuge der Akademisierung ist diese nicht mehr kompatibel mit der wissenschaftlichen Ausgestaltung der Lehrinhalte und den sich verändernden Anforderungen in der Praxis. Laut Evaluation entsprechen die derzeit gültigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen der Therapieberufe - unabhängig von der Akademisierung der Erstausbildung - weder aktuellen Versorgungsanforderungen noch zeitgemäßen pädagogischen Standards. Manche, wie etwa das Berufsgesetz in der Logopädie, sind noch aus den 1980er Jahren. Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) spricht in dem Zusammenhang von einem deutlichen Reformstau.

Gesellschaftliche Entwicklungen erfordern Professionalisierung der Gesundheitsversorgung

Die Experten des Syposiums sind sich einig, auf das deutsche Gesundheitssystem kommen große Herausforderungen zu: Die demografische Entwicklung führt zu einem erhöhten medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Behandlungsbedarf. Die Anforderungen an die Akteure in der Gesundheitsversorgung werden immer komplexer. Für Prof. Dr. Andreas Pinkwart ist es daher nur logisch, auch die therapeutischen Berufe zu professionalisieren: „Das Gesundheitssystem benötigt eine tragfähige Versorgungskette, bei der die Gesundheitsberufe auf ambulanter, stationärer und nachstationärer Ebene effektiv zusammenwirken“, so der ehemalige Minister für Wissenschaft und Innovation des Landes Nordrhein-Westfalen, jetzt Rektor der HHL Leipzig Graduate School of Management. Gegenüber den Ärzten, die zu hundert Prozent Akademiker seien, liege die Quote bei den Therapieberufen bei nur 2,4 Prozent. Damit die Therapeuten den Ärzten auf Augenhöhe begegnen können, müsse diese Zahl laut Pinkwart deutlich erhöht werden. Vom Wissenschaftsrat, dem wichtigsten wissenschaftspolitischen Beratergremium in Deutschland, wird eine Akademisierung von 10 bis 20 Prozent empfohlen.

Interprofessionalität und mehr Geschlossenheit gefordert

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Roy Kühne sprach sich auf dem Symposium für mehr Selbstbewusstsein und Geschlossenheit unter den Angehörigen der Therapieberufe aus. „Therapeuten müssen sich beispielsweise trauen, unspezifische ärztliche Diagnosen zu hinterfragen“, so Kühne, der selbst Physiotherapeut ist. Wenn Therapeuten vermehrt auch Aufgaben von Ärzten wahrnehmen würden, könnte die Akademisierung dazu beitragen, die Kosten in der Gesundheitsversorgung zu reduzieren, regionale Versorgungsengpässe abzufedern sowie die Qualität der Behandlung zu verbessern. Zugleich müssten Therapeuten jedoch angemessen und leistungsorientiert bezahlt werden.

Viele Teilnehmer des Symposiums forderten mehr Interprofessionalität in der Ausbildung und Berufspraxis ein, sowohl unter den Gesundheitsfachberufen also auch im Verhältnis zu den Ärzten.

Klare Signale an die Politik

Bundestagsmitglied Dr. Roy Kühne riet den therapeutischen Berufsverbänden, sich besser zu organisieren und Positionen miteinander abzustimmen. Die Politik brauche klare, fokussierte Botschaften. Dem schloss sich Prof. Dr. Axel Ekkernkamp, Klinikdirektor am Unfallkrankenhaus Berlin, an: „Wenn Sie etwas erreichen wollen, müssen Sie übergeordnete, abgestimmte Themen formulieren.“

Botho von Portatius, Präsident der Hochschule Fresenius, sieht alle Akteure in der Pflicht, die Professionalisierung der Gesundheitsfachberufe weiter zu erhöhen und damit den in der Praxis notwendigen Change-Prozess aktiv zu gestalten. Das Symposium habe sich dafür als gute Plattform zum richtigen Zeitpunkt erwiesen: „Kommendes Jahr werden wichtige Weichen gestellt. Unsere Studenten und Absolventen erwarten von uns klare Signale an die Politik, dass der Zeitpunkt gekommen ist, von der Modellwelt in die reale Welt zu wechseln.“


Quelle: Hochschule Fresenius

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